Die Lebensgeschichte des Verfassungsrichters ist eng mit der jüngeren Zeitgeschichte dieses Landes verknüpft.
Hört man sich im Verfassungsgerichtshof nach Johannes Schnizer um, bekommt man immer wieder zu hören: „Brillanter Jurist.“ Aber auch: „Nicht gerade der Organisierteste.“ Was den Verfassungsrichter nun geritten hat, die Öffentlichkeit zu suchen – mit einem „Falter“- und einem „ZiB2“-Interview –, darüber herrscht auch hier Rätselraten.
Wollte er, der Linke, einfach den linken Kritikern den Wind aus den Segeln nehmen und die Entscheidung des Verfassungsgerichts bezüglich der Wahlaufhebung als alternativlos verteidigen? Oder wollte er sich gar als Nachfolger von Verfassungsgerichtshof-Präsident Gerhart Holzinger in Stellung bringen, dessen Amtszeit nächstes Jahr ausläuft?
Ausgemacht war jedenfalls, dass nur Verfassungsgerichtshof-Präsident Holzinger in dieser Causa nach außen hin spricht. Und Johannes Schnizer war bisher auch keiner gewesen, der sich medial in den Vordergrund gedrängt hätte und mit übertriebenem Geltungsdrang aufgefallen wäre.
Er war allerdings derjenige gewesen, der in der öffentlichen Verhandlung bereits angedeutet hatte, wohin die Reise gehen werde: Schnizer hatte darauf hingewiesen, dass es die Rechtsprechung, wonach tatsächliche Wahlmanipulationen nicht nachgewiesen werden müssen, bereits seit einem Fall aus dem Jahr 1927 gebe – entschieden von Verfassungsvater Hans Kelsen höchstselbst.
Die „Aktentaschen-Affäre“
Das erste Mal das Licht der Öffentlichkeit erblickt hatte Johannes Schnizer im März 2008 als Kabinettschef von SPÖ-Kanzler Alfred Gusenbauer. In der „Aktentaschen-Affäre“. Während eines Ministerrats hatte der Kabinettschef des damaligen ÖVP-Vizekanzlers Wilhelm Molterer, Ralf Böckle, seine Aktentasche unbeaufsichtigt liegen gelassen. Ein ÖVP-Strategiepapier soll dann daraus entwendet worden sein.
Unter Verdacht der ÖVP geriet ein Mitarbeiter aus dem Kabinett Gusenbauer, dessen Chef Schnizer war. Die SPÖ dementierte dies. Das Verhältnis der beiden Kabinettschefs, Schnizer und Böckle, war dann jedenfalls nicht mehr das allerbeste.
Aufgekommen war all das durch eine „Profil“-Geschichte, die sich auf ein ÖVP-Strategiepapier „Wahltag 1. Juni“ berief. Die Neuwahl ließ dann tatsächlich nicht mehr lang auf sich warten. Am 7. Juli sprach Molterer die legendären Worte: „Es reicht!“
Damit war auch Johannes Schnizers Karriere als Kabinettschef im Bundeskanzleramt zu Ende. Der neue SPÖ-Kanzler Werner Faymann konnte und wollte nicht mehr mit ihm. Schnizer wurde Beamter in der Parlamentsdirektion. Es war eine Rückkehr. Der Lebensgefährte der ehemaligen SPÖ-Bundesgeschäftsführerin Andrea Kuntzl war zuvor viele Jahre im SPÖ-Parlamentsklub als Jurist tätig gewesen. Davor hatte er allerdings zehn Jahre als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Verfassungsgerichtshof gearbeitet. Dorthin sollte er dann 2010 zurückkehren – als Verfassungsrichter. Auf einem SPÖ-Ticket.
Dabei stammt Johannes Schnizer eigentlich aus einer bürgerlichen, tief katholischen Familie. Sein Vater war ein bekannter Kirchenrechtler in Graz, auch er selbst pflegte stets beste Kontakte zu katholischen Würdenträgern. Was ihm SPÖ-intern den Beinamen „Monsignore“ einbrachte.
Zur SPÖ kam er einerseits aus Begeisterung für die Politik Bruno Kreiskys, andererseits aus Verachtung für die Politik Jörg Haiders. Während der Oppositionsjahre unter Schwarz-Blau wurde er zu einem der engsten Vertrauten Alfred Gusenbauers. Alle Verfassungsbeschwerden gegen schwarz-blaue Projekte – Unfallrenten, Zivildiener, Pensionsreform, Ambulanzgebühren – nahmen an seinem Schreibtisch ihren Ausgang.
Die Überheblichkeit, die Gusenbauer als Kanzler nicht selten an den Tag legte, bekam mitunter auch Schnizer als Kabinettschef zu spüren. Zwei Intellektuelle – einer gescheiter als der andere. Nur war Gusenbauer eben in der mächtigeren Position. Grundsätzlich verstanden sie sich aber. Gusenbauer lobte Schnizer in der „Presse“ einmal als „Mann der leisen, aber wirkungsvollen Töne“.
Nun ist er ein wenig lauter geworden.
ZUR PERSON
Johannes Schnizer wurde am 14. September 1959 in Graz als Sohn des Kirchenrechtsprofessors Helmut Schnizer geboren. Sein Jus-Studium in Salzburg schloss er mit dem Doktorat ab. Von 1982 bis 1992 arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Verfassungsgerichtshof. 1992 wechselte er – formal als Beamter in der
Parlamentsdirektion angestellt – in den SPÖ-Parlamentsklub, wo er unter anderem für Verfassungsfragen zuständig war. Im Jahr 2006 wurde er Kabinettschef von Alfred Gusenbauer im Kanzleramt. Nach Gusenbauers Sturz kehrte Schnizer in die Parlamentsdirektion zurück. Seit 2010 ist er Verfassungsrichter. Bisher galt er als möglicher Nachfolger von Präsident Holzinger.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.09.2016)