Alfred Leu: "Der Staat muss steuerliche Anreize bieten"

(c) REUTERS (HEINZ-PETER BADER)
  • Drucken

Der Staat müsse ein Interesse haben, dass die Menschen mehr in die Selbstvorsorge investieren, betont Alfred Leu, Österreich-Chef der Generali-Versicherung. Je höher die Steuerbelastung, um so schwieriger sei der Blick nach vorn.

Die Presse: Der Versicherungsvertreter rangiert ja im Ranking der angesehensten Berufe nur ganz knapp vor uns Journalisten. Stimmt dieses Bild vom sogenannten Keiler überhaupt noch?

Alfred Leu: Vieles an unserer Reputation und an der Darstellung unserer Dienstleistung ist überholt. Wir wollen heute nicht mehr den Versicherungsverkauf im Restaurant. Ich glaube, dass auch nicht mehr jeder den Versicherungsvertreter bei sich zuhause am Küchentisch haben möchte. Viele Kunden wollen einen Termin und sich in einer unserer Geschäftsstellen beraten lassen. Die Arbeit unserer Vertriebsmitarbeiter wird sich auch dank der Digitalisierung ganz auf die Beratung konzentrieren. Der Mitarbeiter wird also mehr Kunden mit einer höheren Qualität betreuen können.

Der klassische Versicherungsvertreter hat also ausgedient?

Die Kundenbetreuung findet heute auf verschiedenen Ebenen statt. Wir gehen Schritt für Schritt weg von der Einzel- und hin zur Gruppenbetreuung. Wir haben rund 200 Teams in Österreich, diese Teams bestehen aus Spezialisten.

Geht das Spezialistentum nicht auf Kosten der Kundenbindung?

Entscheidend ist, wie wir im Zuge dieser Systemveränderung neue Kunden gewinnen. Da werden wir natürlich weiterhin auf die Erfahrung guter Vertriebsleute setzen. Ich bin aber davon überzeugt, dass wir neue Kunden auch über neue Kanäle gewinnen werden. Die Erfahrungen in der Schweiz zeigen, dass Standardprodukte immer öfter online vertrieben werden. Das schließt aber eine persönliche Betreuung später nicht aus. Der Kunde hat die Freiheit zu wählen, über welche Kanäle er mit uns kommunizieren möchte.

Diese Wahl wird von Produkt zu Produkt verschieden sein.

Ja, je komplexer ein Produkt ist, desto weniger greift natürlich der Online-Vertrieb.

Allenorts herrscht Verunsicherung. Das müssten doch gute Zeiten für Versicherungen sein.

Ja, wenn die Sparquote hoch ist, profitieren wir natürlich als Lebensversicherer davon. Allerdings führen die niedrigen Zinsen und die steigende Regulierung dazu, dass langfristige Garantien für den Kunden zu teuer werden. Wir müssen also unseren Kunden erklären, dass es sinnvoll ist, gewisse Risken selbst zu tragen, weil damit die Performance-Aussichten steigen.

Ein heikles Thema, das nicht nur die freiwillige Vorsorge betrifft. Wir gehen hierzulande ja davon aus, dass der Staat unsere Altersvorsorge garantiert.

Das Thema ist in Österreich schwieriger als in der Schweiz. In der Schweiz gibt es eine sehr große Unterstützung durch steuerliche Anreize.

In der Schweiz setzt man auch nicht mehr ausschließlich auf das Umlagesystem wie hierzulande?

Aber wenn man sich die demografische Entwicklung ansieht, wird man auch in Österreich nicht umhinkommen, das System zu adaptieren. Man wird früher oder später einen gewissen Anteil der Pensionen durch ein Kapitaldeckungsverfahren gewährleisten müssen. Am Ende muss es auch im Interesse des Staates sein, den Bürger zur Selbstvorsorge zu motivieren.

Sie sprechen sich also für eine verpflichtende Selbstvorsorge aus, wie sie in der Schweiz oder in Schweden längst üblich ist.

Ja, ich glaube, eine gewisse Diversifizierung ist notwendig. Allerdings hat man sich etwa in der Schweiz bereits 1972 für ein Drei-Säulen-Modell entschieden. Das sind letzten Endes politische Entscheidungen. Wenn man die Bevölkerung zum langfristigen Sparen motivieren will, muss man auch steuerliche Anreize bieten. Und bei der kapitalgedeckten Pensionsvorsorge geht es ja nicht nur um die Entlastung des Sozialsystems, auf diese Weise wird ja auch Kapital im Land gehalten. Damit könnte man einen Kapitalsockel bilden, der dann wiederum der Wirtschaft zugute kommt.

Diese Debatte findet kaum statt.

Meiner Meinung nach werden Altersvorsorge und die damit verbundenen riesigen volkswirtschaftlichen Auswirkungen viel zu wenig thematisiert. Dabei befinden wir uns ja in einer dramatischen Situation. Die Lebenserwartung steigt, und wir können nicht absehen, ob sie nicht aufgrund des technologischen und medizinischen Fortschritts in noch höherem Maße steigen wird als erwartet.

„Die Pensionen sind sicher“, heißt es. Wer daran zweifelt, betreibt Panikmache. Sind Sie ein Panikmacher?

Nein. Ich will nur sagen, dass die Alterung ein schleichender Prozess ist, und deshalb gern ausgeblendet wird. Andererseits bin ich mir nicht sicher, ob nicht auch bei der Alterung eine schlagartige Veränderung möglich ist.

Sie denken etwa an ein Mittel zur Krebsheilung.

Ja, zum Beispiel. Dieses – ich nenne es Langleberisiko – ist ja nach den Zinsen das zweitgrößte Risiko, das wir in der Lebensversicherung haben. Wir haben in der Generali einmal ein Modell „Lebenserwartung 120“ erarbeitet.

Da denken Sie aber weit voraus.

Naja, einiges ist jetzt schon sichtbar. Wir sprechen heute längst nicht mehr von drei Lebensphasen Nach dem Berufsleben gibt es eine sehr aktive Phase, die statistisch gesehen bis um die 80 geht und sich weiter ausdehnt. Wir sehen das auch bei einem anderen Versicherungsprodukt, der Reise Assistance. Viele Menschen reisen bis ins hohe Alter, das war vor 15 Jahren fast undenkbar. Heute haben wir es mit Rückführungen von 80-Jährigen aus Patagonien oder Nepal zu tun.

Sie sind Schweizer. Sind das Sicherheitsdenken, der Vorsorgegedanke in der Schweiz stärker ausgeprägt als in Österreich?

In der Schweiz muss sich jeder Bürger darüber Gedanken machen, weil die Vorsorge privat geregelt ist. Etwa die Krankenversicherung. Auch das Drei-Säulen-Modell bei der Pensionsvorsorge trug dazu bei, dass mittlerweile zirka 120 Milliarden Franken in die freiwillige Pensionsvorsorge fließen.

Wäre das in Österreich denkbar?

Ich glaube, in Österreich müsste man einmal über die generelle Steuerbelastung reden. Die ist meines Erachtens ausgereizt. Um Steueranreize geben zu können, muss ein Staat zuerst beginnen, bei sich selbst zu sparen. In meiner Heimat findet etwa gerade eine intensive politische Diskussion über die Senkung von Unternehmenssteuern statt, um die wirtschaftliche Entwicklung zu fördern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.09.2016)


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.