BIMAIL: Babylonische Verwirrung

Wie können Christen und Muslime gemeinsam am respektvollen Verständnis füreinander arbeiten?

Ein Kollege hat uns zu Weihnachten Pieter Bruegels „Turmbau zu Babel“ als Puzzle in fünftausend Teilen geschenkt. Jetzt stehen mehrere Professoren der Bibelwissenschaft und der Altorientalistik am Päpstlichen Bibelinstitut in Rom nach dem Mittagessen um einen großen Tisch und freuen sich wie Kinder, das eine oder andere passende Teilchen zu finden.

Während uns Bruegels Meisterwerk fesselt, erzählt ein Kollege die Geschichte des historischen Turms von Babel. Im 6. Jahrhundert vor Christus ließ König Nebukadnezar auf alten Ruinen den monumentalen, quadratischen Stufenturm mit mehr als 90 Metern Seitenlänge als größten „Tempelberg“ Babyloniens erbauen. Sein Name war Etemenanki – „Haus des Fundaments von Himmel und Erde“.

»An jenem Tag
werdet ihr mich
nichts mehr fragen.«

Joh 16, 23

Schon aus der Zeit Nebukadnezars ist eine Reliefdarstellung des Gebäudes erhalten, Herodot beschrieb es zwei Jahrhunderte später. Alexander der Große schließlich wollte den Turm renovieren. Er ließ den alten Bau abtragen, zur Wiedererrichtung jedoch kam es nie.

Heute sind nur noch die seit 1913 von deutschen Archäologen ausgegrabenen Fundamente zu sehen. Der größte Turm des Alten Orients ist zum archäologischen „Ground Zero“ geworden.

Nebukadnezar war auch jener babylonische König, unter dem Jerusalem zerstört und die Elite der Bevölkerung Judäas nach Babylonien deportiert wurde. Die enorme Baustelle des Etemenanki hat so vermutlich die biblische Erzählung vom Turm von Babel inspiriert. Das Buch Genesis stellt den Bau als Prestigeprojekt dar, mit dem sich die urzeitliche Menschheit „einen Namen machen“ will. Gott verhindert das Vorhaben, indem er ihre ursprünglich einheitliche Sprache verwirrt und die Menschen zerstreut.

Die kurze Erzählung ist eine kulturtheoretische Metapher von beklemmender Aktualität. Die zwei Türme des World Trade Center haben als Symbol von Prestige und wirtschaftlicher Macht eine zerstörerische Aggression auf sich gelenkt, die den Beginn unseres Jahrhunderts und eines Konflikts von globaler Dimension markiert.

Der Ehrgeiz imperialer Macht gepaart mit unversöhnlicher Trennung von Kulturen und Religionen entfaltet seit Jahrtausenden mit trauriger Regelmäßigkeit seine zerstörerische Dynamik. Es ist eine tragische Ironie der Geschichte, dass gerade die Revolution der Kommunikationsmittel es ermöglicht hat, selbst einen Konflikt über Karikaturen auf eine globale Ebene zu heben.

Seit der „Verwirrung der Sprachen“ steht menschliche Kommunikation unter vielen großen Fragezeichen. Ein Ende der Fragen kennt die Bibel nur als Hoffnung auf eine himmlische Zukunft.

Das Puzzeln am Turm von Babel ist für mich zu einem Bild geworden für den Wunsch, in die Zerbrochenheit der Wirklichkeit wieder Ordnung zu bringen. Ein Wunsch, der heute vor die große Frage stellt: Wie können Christen, Muslime und Menschen jeglicher Weltanschauung gemeinsam an einem respektvollen Verständnis füreinander arbeiten?

Bimail steht für Bibelmail, ein wöchentliches Rundschreiben des Teams um Pater Georg Sporschill, adressiert an Führungskräfte. Darin werden Lehren aus der Bibel auf das Leben von heute umgelegt.

debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.01.2015)

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