Mütter der Candelaria fordern Gerechtigkeit

Wie die Jungfrau Maria von Jerusalem nach Medellín wanderte – und wie der Glaube wirken kann.

Erstgeborene galten im alten Israel als in besonderem Maße Gott geweiht. Erstgeborene Tiere wurden geopfert, für den ersten Sohn brachte man zum Ersatz ein anderes Opfer dar. Das Lukasevangelium berichtet, Maria habe Jesus entsprechend den Vorschriften des Mose in den Tempel von Jerusalem getragen und Tauben als Opfer dargebracht.

Um 400 n.Chr. erzählt die Pilgerin Egeria, wie Christen in Jerusalem dieses Ereignisses feierlich gedachten. Das Fest der Darstellung des Herrn, traditionell Maria Lichtmess genannt, wird in der katholischen Kirche bis heute am 2. Februar gefeiert. Seit der Eroberung Teneriffas durch die Krone von Kastilien 1497 wird die Lichtmess-Jungfrau, die Virgen de la Candelaria, auf der Insel besonders verehrt.

Vermittelt durch Seefahrer, verbreitete sich die Verehrung der Jungfrau der Candelaria in ganz Lateinamerika. In Puno etwa, am peruanischen Westufer des Titicaca-Sees, versammeln sich jedes Jahr am 2. Februar Hunderttausende, um das Fest der Jungfrau mit Tänzen zu begehen – ein einzigartiges Spektakel.

Auch die älteste Kirche Medellíns in Kolumbien ist der Candelaria geweiht. Seit 1999 ist die Kirche Ausgangspunkt der Mütter der Candelaria, die gegen das Verschwinden ihrer Angehörigen im bewaffneten Konflikt Kolumbiens protestieren und sich für Aufklärung der Gewaltverbrechen, Rechtsprechung, Reparationen, Frauenrechte und den Friedensprozess einsetzen.

Teresa Gaviria gründete die Bewegung, nachdem ihr Sohn Christian mit 15 Jahren verschwunden war. Erst nach jahrelanger Suche erfuhr sie, dass er von Paramilitärs ermordet und seine sterblichen Überreste in den Río Magdalena geworfen worden waren. Zehntausende Menschen verschwanden in Kolumbien als Opfer von Guerrillas, Paramilitärs oder staatlichen Sicherheitskräften. Die Mütter der Candelaria fordern Gerechtigkeit. Aber nicht, um weiteren Hass zu schüren, sondern um Frieden zu finden, für ihre Familien und ihr Land.

»Dann sagte er zu dem Jünger: Siehe, deine Mutter! Und von jener Stunde an nahm sie der Jünger zu sich.

«

Johannes 19,27

Was verbindet die Mütter der Candelaria mit der Jungfrau der Candelaria? Schon als Maria Jesus in den Tempel brachte, prophezeite ihr Simeon, ein Schwert werde ihre Seele durchdringen – ein Hinweis auf den gewaltsamen Tod ihres Sohnes. Das Johannesevangelium erzählt, wie Jesus, am Kreuz schon dem Tod nahe, seinem geliebten Schüler Verantwortung für Maria anvertraut – ein Gestus, der dem Leid der Mutter Aufmerksamkeit schenkt.

Maria wurde seit dem Mittelalter in der Volksfrömmigkeit als Mutter der Schmerzen zum Bezugspunkt unzähliger Frauen, die darum beteten, ihr Leid möge nicht zu Hass, sondern zum Frieden führen. Während Männer als Kriegsherren in die Geschichte eingingen, retteten Frauen die Menschheit über Kriege hinweg. Die Mütter der Candelaria zeigen die Kraft ihres Glaubens in gesellschaftspolitischer Initiative.

Bimail steht für Bibelmail, ein wöchentliches Rundschreiben des Teams um Pater Georg Sporschill, adressiert an Führungskräfte. Darin werden Lehren aus der Bibel auf das Leben von heute umgelegt.

debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.02.2017)

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