Culture Clash

Suzie Q und der Tod. Wenn Frauenpolitikerinnen das Leid bei der Abtreibung tabuisieren, treffen sie genau diejenigen, denen sie eigentlich helfen wollten.

Die jüngst aufgedeckten Missstände in einer Wiener Abtreibungspraxis haben Wortmeldungen ausgelöst, die sich vornehmlich um die Tabuisierung der Abtreibung in Österreich drehen. So hat etwa die Chefin der oberösterreichischen SP-Frauen, Sonja Ablinger, in der „Presse“ den Schluss gezogen, dass der Schwangerschaftsabbruch noch viel zu wenig selbstverständlich sei – er müsse flächendeckend und billig angeboten und vollends aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden.

Ich glaube nicht, dass es dann weniger Missstände gäbe. Es ist ja nicht so, als hätten die Gesundheitsbehörden weggeschaut, weil Abtreibung eine zwielichtige Sache ist. Aber ich glaube auch, dass zu viel weggeschaut wird. Das Tabu betrifft aber nicht den Schwangerschaftsabbruch an sich, sondern das dabei entstehende Leid. Für die Kinder sowieso, die oft mit aller Kraft vergeblich um ihre Leben kämpfen. Aber auch für die Mütter und ihre Familien.

Suzie Quatro, Popidol meiner Jugendzeit, hat kürzlich ein bemerkenswertes Interview gegeben. Sie hat mit 18 abgetrieben, das Kind eines verheirateten Mannes: „Ich hätte es geliebt, das Kind zu bekommen. Es vergeht kein Jahr, in dem ich nicht daran denke – wie das Kind jetzt wäre, wie alt es jetzt wäre. Es tut mir so wahnsinnig leid, aber manchmal hat man einfach keine Wahl, und ich war völlig versteinert. Jahre später kommt es immer noch zurück und verfolgt mich, und ich glaube nicht, dass ich jemals darüber hinwegkommen werde.“

Es gibt viele tausende Frauen, denen es so geht. Das Beschämende für die Gesellschaft ist nicht, dass Suzie Quatro zu weit hat fahren oder zu viel hat bezahlen müssen. Sondern dieses „Einfach keine Wahl“. Wie viel Wahl haben viele Frauen in dieser Situation? In einer wissenschaftlichen Studie im Jahr 2006 haben 64 Prozent der befragten Amerikanerinnen, die abgetrieben haben, gesagt, dass Zwang oder starker Druck im Spiel waren. 84 Prozent berichten, sie seien nie adäquat beraten worden, und 79 Prozent bekamen keine Alternative genannt.

Wie es sich mit Zwang, Druck und Ausweglosigkeit in Österreich verhält, will niemand so genau wissen. Vielleicht würden sich ja dann die Begleitmaßnahmen aufdrängen, die schon Bruno Kreisky versprochen hat: etwa eine obligatorische Bedenkzeit oder eine Beratung durch einen anderen als den abtreibenden Arzt. Aber manche Politikerinnen glauben, dass sie die Abtreibung als historisches Frauenrecht an allen Rändern absichern müssen. Dazu müssen sie sich vormachen, dass Abtreibung etwas ganz Normales sei – und lassen damit die betroffenen Frauen mutterseelenallein.

Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.07.2013)

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