Culture Clash

Sex in der Schachtel. Endlich nimmt jemand das Thema ernst: Eine neue Talkshow wirft einen wirklich reifen Blick auf den Geschlechtsverkehr in seiner natürlichsten Art.

Frontnachrichten
aus dem KulturkampfDass Wladimir Putin für den Friedensnobelpreis nominiert war, hat mich verblüfft. Aber dann wurde mir klar: Er war ja gegen Obamas syrische Kriegspläne – ist also noch ein Eck friedlicher als der Friedensnobelpreisträger Obama. Wäre nächstes Jahr dann nur mehr infrage gekommen, wer noch friedlicher ist als Putin?

Aber nun zu etwas ganz anderem: die neue TV-Show „Sex Box“ des britischen Channel 4. Da haben Pärchen in einem Container Sex, abseits aller Kameras und Mikrofone, und wenn sie rauskommen, werden sie von vier Experten befragt, wie's so war. Absicht der Sendung ist es, endlich auf erwachsene Weise über Sex zu reden. Moderatorin Mariella Frostrup findet das „letztendlich einen fürs Fernsehen überraschenden wirklich, wirklich reifen Blick auf dieses Thema“.

Zweifellos. Endlich nimmt sich jemand des Tabuthemas Sex an! Ganz natürlich! Frostrup: „Sex, wie wir ihn auf der Leinwand sehen, in Magazinen und immer mehr auch online, hat ja wenig Bezug zu den wirklichen Erfahrungen wirklicher Menschen.“ In der Show ist das anders: Die Paare gehen Montagabend in die etwa neun Quadratmeter große Box, müssen dort Sex von 21.10 bis spätestens 21.40 haben und statt der Zigarette danach gibt es Talk mit fremden Leuten. Das ist das wirkliche Leben.

Man möchte damit auch der Pornografie etwas entgegensetzen, sagen die Moderatoren. Da blicke ich nicht ganz durch. Das Pornogeschäft bringt Menschen dazu, Sex zu haben, damit fremde Leute zuschauen können. „Sex Box“ bringt Menschen dazu, Sex zu haben, damit fremde Leute zuschauen können, wie nachher darüber geredet wird. Das ist sicher mehr sophisticated. Aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass es trotzdem noch Pornografie ist.

Pornografie nimmt dem Sex den Schutzraum der Intimität, ohne den die Liebe verdorrt. Die Box ist zwar undurchsichtig, aber intim ist das, was dahinter passiert, nicht. „Die Show wird für viele Leute, die zuschauen, den Sex normalisieren“, meint Ko-Moderatorin Tracy Cox. So normal wollen wir es aber vielleicht gar nicht haben. Manche mögen am Sex ja gerade das am meisten, was sich nicht in Worte fassen lässt.

Man könnte bei der zweiten „Sex Box“-Staffel ja auch die Talkrunde im Verborgenen abhalten – und nachher mit den Moderatoren reden, wie das war. Das wäre doch ein noch reiferer Blick aufs Thema! Auf andere Art erwachsen war übrigens der Großvater meiner Frau, der immer dann, wenn auf der Leinwand das Küssen begann, gesagt haben soll: „Was hab ich von Zärtlichkeiten, die nicht mir gelten?“ Aber das ist lange her...

Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

meinung@diepresse.com diepresse.com/cultureclash

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.10.2013)

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