Rätselhaftes Amerika

Der Tod eines Pastors durch Schlangenbiss wirft Fragen auf: Beweist ein ausbleibendes Wunder Gottes Nichtexistenz? Und wie dumm darf Religion sein?

Vor wenigen Tagen ist ein US-Pastor, in dessen Kirche Giftschlangen eine Rolle spielen, gestorben – durch Schlangenbiss. Der rund 100 Jahre alte Schlangenkult eines Nebenzweiges der Pfingstkirche beruft sich auf das Markusevangelium, in dem Jesus sagt: „Und durch die, die zum Glauben gekommen sind, werden folgende Zeichen geschehen: (...) Wenn sie Schlangen anfassen oder tödliches Gift trinken, wird es ihnen nicht schaden.“

Um zu zeigen, dass Gottes Verheißungen wahr sind, heben also die Snake Handler, die Schlangenanfasser, beim Gottesdienst Klapperschlangen mit bloßen Händen in die Höhe. Am vorvergangenen Samstag hat das Pastor Jamie Coots getan, wurde (zum neunten Mal) gebissen, lehnte eine Behandlung ab und war wenige Stunden später tot.

Der Autor Hemant Mehta („I sold my soul on eBay“) fragt sich auf seinem populären Blog „The Friendly Atheist“, ob nun Coots' Anhänger endlich ihre Kirche verlassen, oder diese „Tragödie als irgendeine seltsame Ausnahme wegerklären“ werden. Ich denke eher Letzteres. Pastor Coots ist ja schon das 66. bekannte Todesopfer dieser Praxis. Schon ihr Gründer wurde 1955 totgebissen.

Die Katholiken (wie die meisten christlichen Konfessionen) haben eine klare Erklärung: Man darf die Stelle bei Markus nicht als Aufforderung verstehen, mit einer Art Mutprobe einen Gottesbeweis anzutreten. Im alten Katechismus stand zu derlei Versuchungen der lapidare Satz: „Man soll Gott nicht leichtfertig um ein Wunder bitten.“

Aber mich alten Katholiken macht etwas nachdenklich: Sind wir „vernünftigen“ Christen von außen betrachtet viel rationaler als die Schlangenanfasser? Nicht nur, dass wir jeden Sonntag unseren Gott verspeisen gehen. Wer als Missionar in Kulturen aufbricht, die allergisch darauf reagieren, geht ein höheres Risiko für die Verbreitung des Glaubens ein, als wenn er halb verdurstete und damit milde gestimmte Klapperschlangen hochhält.

Gilt also auch für uns, was der freundliche Atheist im Fall Coots sieht? Ein perfektes Beispiel „of how faith fucks you up: It can cause you to ignore common sense even when it's staring you right in the face.“ Irgendwie hat er recht: Ist es denn nicht wirklich erst dann Religion, wenn es nicht mehr zur Gänze empirisch belegbar und aus einem Nutzenkalkül rechtfertigbar ist – wenn es also über den „common sense“ hinausgeht? Religion nur dann zu respektieren, wenn sie auch von außen betrachtet keine Torheit enthält, heißt dann aber, gar keine Religion zu respektieren. Das müsste auch uns Katholiken klar sein, bevor wir dämliche Kulte anderswo belächeln.


Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

meinung@diepresse.com

diepresse.com/cultureclash

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.02.2014)

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