Der Gott der Glotze

Singende Nonnen und Pfarrer reüssieren auf YouTube – welchen Unterhaltungswert hat das Christentum? Und wer spricht da von Wert?

Der New Yorker Kulturphilosoph Neil Postman hat in seinem Buch „Wir amüsieren uns zu Tode“ die These aufgestellt, dass das Fernsehen nicht fähig ist, die tieferen Gedanken der Menschheit zu vermitteln, weil es den Gesetzen der Unterhaltung folgen muss. Es führe zu einer Infantilisierung der Gesellschaft. Als Beispiel für die Trivialisierung ernsthafter Inhalte hat Postman ein Kapitel dem Thema Religion gewidmet. Darin nennt er das Christentum „eine ernste und fordernde Religion. Wenn es als leicht und unterhaltend dargeboten wird, wird es zu einer völlig anderen Art von Religion.“ Daran habe ich denken müssen, als ich kürzlich, etwas fassungslos, den Medien-Hype um Pfarrer Ryan Kelly wahrnahm.

Kelly singt gern bei Hochzeiten Leonard Cohens „Hallelujah“, und ein Video davon ist auf YouTube innerhalb weniger Tage fast 30 Millionen Mal angeschaut worden. Aus der ganzen Welt kommen Interviewanfragen. Das kommt schon nahe an den Medien-Hype um Schwester Cristina heran: Ihr Gesangsauftritt (Alicia Keys' „No One“) bei einer italienischen Talenteshow wurde im März 45 Millionen Mal angeklickt.

Da frage ich mich, wieso ein singender Pfarrer oder eine singende Nonne bestaunt werden wie Kälber mit zwei Köpfen. Hat unsere Gesellschaft die Religion so sehr zum Kompetenzzentrum für Sack und Asche gemacht, dass es eine Weltsensation ist, wenn jemand von dort „drüben“ in unserer Spaßkultur auftaucht? Bei Schwester Cristina ist das besonders deutlich, weil in dem Clip der „Was denn, eine Nonne?!“-Moment der Juroren auch noch professionell inszeniert ist. So was wie „Sister Act“ im „wirklichen“ Leben. Die andere Frage ist, ob wir hier Zeugen sind, wie sich die Unterhaltungskultur die perfekte Religion zurechtzimmert: Nett, herzerwärmend und leicht konsumierbar. So was hätte zwar Massenappeal, wäre aber nicht das Christentum. Vom Christentum kann man sich zwar Antworten auf die tiefsten Sehnsüchte nach Anerkennung und Geborgenheit erwarten, aber eben nicht in Filzpatschen bei Bier und Soletti.

Das Fernsehen – ich zähle hier YouTube einmal zu den Fernsehkanälen – lebt von Protagonisten: Der Star ist die Botschaft. Gottschalk ist realer und damit telegener als Gott. Gerade Ostern, die Zeit von Kreuz und Auferstehung, zeigt die Bildmächtigkeit der christlichen Religion, aber eben eine ernste und fordernde Mächtigkeit und keine Show.

Die Christen wären natürlich schlecht beraten, sich aus dieser Welt zurückzuziehen. Aber natürlich gilt auch, dass es vor Gott keine Stars und in der Religion nicht den Erfolgsmaßstab der Quote gibt.

Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

meinung@diepresse.com

diepresse.com/cultureclash

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.04.2014)

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