Krampferl ums Zumpferl

Warum uns der Anblick nackter Rabbis erspart bleibt – und warum das Life-Ball-Plakat lügt. Eine Anregung zum Protest.

In den letzten Tagen hatte ich schon manchmal den Eindruck, nicht Conchita Wurst habe den Songcontest gewonnen, sondern „die Toleranz“. Und wer das Lied lobt, gilt ja schon fast als homophob.

Ich hoffe, dass sich der Hype legt und die Nachdenklichkeit bleibt. Es ist nötig, dass es zu Kernfragen der menschlichen Existenz – deren Antworten je nach Menschenbild unterschiedlich sind – einen Diskurs gibt. Gerade auch zur Frage der Geschlechtsidentität, bei der es um Würde geht, um die Sehnsucht nach Einssein mit sich und der Welt, um innere und äußere Unversehrtheit.

Menschen, deren gefühltes Geschlecht nicht ihrem Körper entspricht, tragen eine besondere Last. Ihre inneren Widersprüche und Zweideutigkeiten setzen nicht nur ihnen selbst zu. Sie werden häufig Opfer heftiger Ablehnung und Gewalt. Ihre Gefährdung, Suizid zu begehen, ist sehr hoch.

So gesehen ist das umstrittene Plakat des Life Ball (eine nackte Transfrau, einmal mit Penis, einmal ohne) eine Lüge. In die Adam-und-Eva-Grundstruktur des Menschengeschlechts nicht hineinzupassen ist eine schwere Prüfung und hat mit der kitschigen Geilheit eines paradiesischen „Garten der Lüste“ (heuriges Life-Ball-Motto) wenig zu tun.

Das Plakat soll provozieren, hat Organisator Gery Keszler gesagt. In dem Bild gehe es „nicht um Sexualität, wie man auf den ersten Blick vermuten würde. Es geht um Identität und darum, dass es für die menschliche Würde und den gegenseitigen Respekt keine Grenzen gibt.“ Das ist Bullshit. Bei Straßenplakaten gibt es keinen zweiten Blick, es geht genau um das, was man auf den ersten Blick vermutet. Und die provozierende erotisierte Nacktheit verletzt bewusst das Schamgefühl vieler Passanten, ihre Intimsphäre. Ist das Respekt?

Dem entspricht die Finte, das Foto für das Plakat in einer Galerie auszustellen, sodass es als „Werbung für Kunst und Kultur“ nicht in die Zuständigkeit des Werberates fällt (der die Beschwerden aber interessanterweise nicht an die Galerie, sondern den Life Ball weiterleitet). So schaltet man das Mitspracherecht der Menschen über ihren öffentlichen Raum aus.

Was ist nun mit der Toleranz? Es wäre schon eine eher vertrottelte Idee, Antisemitismus mit Plakaten nackter Rabbis zu bekämpfen. Aber hier ist es noch eklatanter, denn der Diskurs zur Geschlechtsidentität ist ja gerade wegen ihrer zutiefst intimen Natur so heikel. Das entblößende Life-Ball-Plakat verstärkt das Vorurteil, dass Homo- und Transsexualität nur Formen infantiler Schamlosigkeit sind– von unangreifbaren Lobbys betrieben. Daher sollten alle protestieren, aus Respekt.

Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

meinung@diepresse.com

diepresse.com/cultureclash

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.05.2014)

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