Wunschkind

Treffen sich ein Mangamädchen und ein Herkules in der Kirche... und erzählen, warum unsere Ideale die Geburt von Downsyndrom-Kindern verhindern.

In der Ausstellung „Leiblichkeit und Sexualität“, die in der Wiener Votivkirche u.a. Werke von Damien Hirst, Erwin Wurm und Pipilotti Rist zeigt, fasziniert mich eine Installation besonders: Takashi Murakami hat seine Skulptur des überschlanken Mangamädchens „Miss Ko2“ einem muskelbepackten Herkules gegenübergestellt: zwei Schönheitsideale im Kontrast zum Übertitel „Imago Dei“, der auf die jüdisch-christliche Sicht des Menschen als Ebenbild Gottes verweist.

Das eröffnet eine Reflexion über die Prägung des Menschen durch das, was er sein will. Oder nicht sein will. Oder sein soll. Die Frage nach lebensentscheidender Orientierung.

Kürzlich habe ich in der Geburtenstatistik gelesen, dass es 2012 nur noch sechs Downsyndrom-Lebensgeburten gab. Vor zwei Jahrzehnten waren es noch im Schnitt mehr als 20 pro Jahr. Bei einer Häufigkeit einer Downsyndrom-Schwangerschaft von 1:800 müssten es eigentlich mehr als 90 sein.

Downsyndrom-Kinder sind nicht lebensuntüchtig. Sie haben sogar im Schnitt ein zufriedeneres Gemüt. Es gibt Einzelfälle, die einen Universitätsabschluss geschafft haben. Trotzdem werden die meisten solchen Kinder in Österreich vor dem Eintritt ihrer natürlichen Geburt getötet. Wie ist das zu erklären, noch dazu in einer reichen Gesellschaft, die sich minderproduktive Mitglieder leisten kann?

Natürlich gibt es die vielen Mühen und Sorgen, die mit Downsyndrom-Kindern verbunden sind und einem ein Leben lang bleiben. Das verstehe ich gut – aber viele meistern das so, dass es als Grund für das routinemäßige Töten nicht ausreichen kann.

Ich denke, im Grunde ist es ist die Frage, wie wir sein wollen. Wir sind offenbar dann bereit, die Mühen der Kinderaufzucht auf uns zu nehmen, wenn die Aussicht besteht, dass die Kinder so werden, wie wir selber sein möchten. Downsyndrom-Kinder bieten diese Aussicht nicht. Sie durchkreuzen unsere Hoffnung, in und mit unseren Kindern das zu sein, was wir sein wollen – oder was wir glauben, sein zu müssen.

Bevor ich so bin, wäre ich lieber tot – also ist es besser, wenn du nicht lebst. Das ist zwar unlogisch, aber offenbar naheliegend. Dagegen hilft das Bewusstsein, Ebenbild Gottes zu sein, und im Downsyndrom-Kind das Ebenbild Gottes zu sehen. Wenn man im Menschen mit Downsyndrom das eigene Ideal sucht, wird man dann nicht mehr erschrecken, sondern eben das Kind Gottes sehen.

Die Idee von Gottes Ebenbild kann freilich nur eine Illusion sein. Aber im Gegensatz zu allen Herkulessen oder Ko2s dieser Welt ist sie das einzige Ideal, dem man in jedem Zustand entsprechen kann.

Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

meinung@diepresse.com

diepresse.com/cultureclash

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.06.2014)

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