Culture Clash

Wie einst in Blumenau. Der türkische Premier empfiehlt den Ex-Türken Integration, aber nicht Assimilation. Schmonzes. Worauf es ankommt, ist Loyalität. Und die untergräbt er.

Frontnachrichten
aus dem KulturkampfWaren Sie schon einmal beim Oktoberfest in Blumenau? Ich leider noch nicht, obwohl es sich um das zweitgrößte Fest dieser Art der Welt handelt – und um das zweitgrößte Festival des Landes, gleich nach dem Karneval in Rio. Das 1850 von Deutschen gegründete Blumenau liegt im Süden Brasiliens. Heute noch sprechen viele der Bewohner Deutsch, so wie 500.000 Menschen im übrigen Land.

Blumenau ist mir nicht eingefallen, weil das WM-Stadion von Curitiba in der Nähe liegt. Sondern wegen Recep Erdoğans soeben in Wien wiederholtem Aufruf an die türkischstämmigen Einwanderer, sich zwar zu integrieren, aber nicht zu assimilieren.

Ein gemächliches Assimilierungstempo finden ja auch wir offenbar ganz nett. Die Schuhplattler aus Dreizehnlinden, unweit von Blumenau, machen uns ebenso sentimental wie der Tiroler Dialekt, den man heute noch in Pozuzo, im peruanischen Regenwald, spricht. Was würde aber passieren, wenn forsche Türken in einer unserer dünn besiedelten Gegenden eine Stadt gründen, sagen wir nahe Tamsweg oder im Kärntner Gitschtal? Und wenn sie es mit der Assimilierung dann ungefähr ebenso eilig haben wie die Blumenauer, die noch 50 Jahre nach ihrer Gründung in nur 9 von 121 Grundschulen Portugiesisch unterrichteten?

Freilich war auch Blumenau nicht immer unwidersprochen. Spätestens als Brasilien 1942 Deutschland den Krieg erklärte, waren die Deutschen im Land verdächtig, der Gebrauch ihrer Sprache wurde verboten. Misstrauenswellen gab es auch anderswo. Etwa Mitte des 19. Jahrhunderts, als die starke Zuwanderung von katholischen Iren und Deutschen in den USA die Bewegung der Nativisten entstehen ließ, die papistische Unterwanderung befürchtete.

Und hier wird die Erdoğan-Auseinandersetzung interessant. Erdoğan liebt es, die ausgewanderten Türken als Hausmacht in der Fremde anzusprechen. Die Deutsch nur lernen, um sich besser festsetzen zu können, aber „Enkel Süleymans“ bleiben, des erfolgreichsten Imperialisten unter den osmanischen Sultanen.

Diesen neu-osmanischen Imperialismus, der je nach Bedarf auf ein ethnisches, sprachliches oder religiöses Wir-Gefühl setzt, haben wir gebraucht wie einen Kropf. Vernünftige Integration verlangt Loyalität gegenüber der neuen Heimat, aber nicht völlige Aufgabe der eigenen Kultur. Indem der Premier das Misstrauen gegen die türkischen Einwanderer als Fünfte Kolonne Ankaras oder des Islam schürt, macht er es allen schwer, die sich so integrieren wollen – und allen leicht, die gar nicht an Integration interessiert sind. Tschüss Erdi! (Oder heißt es auf Österreichisch Ciao?)
Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

meinung@diepresse.com diepresse.com/cultureclash

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.06.2014)

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