"Edle Frauen"

Eine töchterlose Bundeshymne vor dem Grand-Prix-Start hält das Land in Atem. Gut, dass unsere Sprachfeministen die norwegische Hymne nicht kennen.

Eigentlich wollte ich ja über Fußball schreiben. Aber das sportliche Ereignis, das derzeit offenbar am meisten die Gemüter der Österreicher stimuliert, scheint nicht die WM zu sein, sondern Andreas Gabaliers Wiedergabe der Bundeshymne in der Fassung von 1947 beim Grand Prix in Spielberg.

Die Begründung des Sängers, warum er nicht das metrisch verpatzte „Heimat großer Töchterundsöhne“, sondern das bis 2012 geltende „Heimat bist du großer Söhne“ gesungen habe, ist nicht stichhaltig. Statt es ästhetisch zu begründen, zog er sich auf die Position zurück, er habe mit acht Jahren die Hymne eben so gelernt und außerdem solle man an Original-Liedertexten nicht herumdoktern.

Hymnen dürfen sich ändern. Was, wenn demnächst Freddy Quinn darauf beharrt, die Nationalhymne so zu singen, wie er sie 1939 in der Schule gelernt hat? Und zur Frage des Eingriffs in Originaltexte: Die Autorin Paula von Preradović hat selbst – auf Wunsch des Ministerrates – Änderungen vornehmen müssen. Ursprünglich hatte sie Österreich etwa als „arbeitsam und liederreich“ bezeichnet. Und die bewusste Zeile hieß zunächst sogar „Großer Väter freie Söhne“. Juridisch ist die Sache jedenfalls interessant, denn es zeigt sich, dass es offenbar keine Handhabe gegen bundeshymnische Traditionalisten gibt. Eine strafbare Verächtlichmachung laut §248StGB liegt ja nicht vor. Wird sich wie in der Messe der katholischen Kirche ein „außerordentlicher Ritus“ entwickeln?

Im emanzipatorisch fortschrittlichen Skandinavien jedenfalls scheinen die Frauen ihre Position auch ohne Umtextungen der Hymnen erreicht zu haben. Die Dänen nennen allerdings nicht nur „Männer und flinke Knaben“; sondern auch „edle Frauen, schöne Mädchen“. In der schwedischen Hymne kommt nur der Norden vor (mit den uns unangemessen klingenden Worten angesprochen: „Du gamla?“), und in der isländischen nur Gott. Aber schon in Finnland findet man „der Väter Hort“. Und dann erst Norwegen: hymnisch betrachtet ein Feministen-Albtraum! In der ersten Strophe gedenkt man ja noch des Vaters und der Mutter. Aber dann ist nur mehr die Rede von den Königen, den Brüdern, der Vaterkraft und dem Väterkampf. Frauen dürfen in der Hymne nur weinen – oder streiten, „als ob sie Männer wären“. Das ist die Hymne jenes Landes, das 40 Prozent Frauenanteil im Parlament hat und weltweit die besten Lebensbedingungen für Mütter aufweist.

Das nährt meinen Eindruck, dass das „Sichtbarmachen der Frauen“ durch korrekte Textierung tatsächlich mehr ideologische Gängelei ist als ein wirksamer Beitrag zur Geschlechtergerechtigkeit.

Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

meinung@diepresse.com

diepresse.com/cultureclash

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.06.2014)

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