Bolivien lockert das Verbot der Kinderarbeit. Das kann durchaus ein intelligentes soziales Experiment sein. Muss es aber nicht unbedingt.
Kinder, die in Bergwerksstollen schwere Wägelchen ziehen, gehören bei uns zu den Schreckensbildern des Frühkapitalismus. Es erstaunt daher vielleicht, dass nun ausgerechnet Bolivien das Verbot der Kinderarbeit lockert, dessen indigener Präsident Evo Morales von Havanna zum Ehrendoktor und von der UNO zum „Welthelden der Mutter Erde“ ernannt worden ist.
In Bolivien hat das Parlament beschlossen, das Alter für Kinderarbeit von 14 auf bis zu 10 Jahre (mit strengen Auflagen) zu senken. Damit koppelt sich Bolivien aus einem hundertjährigen Trend immer strengerer Verbote von Kinderarbeit aus. Derzeit arbeitet dort geschätzt ein Viertel der Kinder unter 14. Wenn man das bis jetzt schon nicht verhindern konnte, soll man die Arbeit legalisieren, sie überwachen und die Kinder damit besser schützen, sagen die einen. Die anderen fragen: Wenn man schon jetzt die Verbote nicht überwachen konnte, wie will man denn künftig den Schutz überwachen?
Wer darauf Antworten sucht, dem wird auch klarer, warum gerade Bolivien diesen Sonderweg geht. Die Regierung Morales verfolgt ohne große Rücksicht auf die Weltmeinung eine bisweilen verklärende Fokussierung auf die indigene Lebensweise. In der Indiokultur ist – wie in jeder armen Agrargesellschaft – Kinderarbeit selbstverständlich. Schon beim traditionellen Coca-Anbau hat die Regierung die Überführung in die Legalität betrieben, statt bloße Verbote zu exekutieren.
Die Legalität kann auch tatsächlich helfen. Wird einem kleinen Zigarettenhändler das Lager geklaut, kann er nun zur Polizei gehen. Andererseits wirkt manches im neuen Gesetz, das nach Konsultationen mit einer Kindergewerkschaft zustande gekommen ist, etwas naiv. Kinderarbeit muss z.B. strikt freiwillig sein. Es ist aber nicht schwer, ein Kind dazu zu zwingen, seine Arbeit freiwillig zu verrichten.
Manche Hilfsorganisationen befürchten, dass eine Armutsfalle fixiert wird: Kinder, die arbeiten, statt zu lernen, bleiben arm, sodass ihre Kinder dann auch wieder mitarbeiten müssen, statt lernen zu können. Andererseits gibt es viele Kinder, die gerade deswegen arbeiten, damit sie oder ihre Geschwister sich die Schule leisten können.
Es ist also in diesem Thema nichts ganz klar. Man weiß auch nicht, ob das Ganze nicht vor allem eine Legalisierung der Kinder-Landarbeit sein soll, deren Verbot als westliches, kulturfremdes Denken gelten mag. Immerhin reden wir von jener Regierung, die seit einer Woche die große Uhr am Kongressgebäude gegen den Uhrzeigersinn laufen lässt – laut dem Kongresspräsidenten ein „klarer Ausdruck der Dekolonialisierung“.
Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.07.2014)