Gut gemeint

Spaniens Ex-Premier Zapatero möchte gern den Religionen die Giftzähne des Wahrheitsanspruchs ziehen. So etwas macht aber eine Kultur nicht friedlich, sondern wehrlos.

An sich nichts Weltbewegendes, aber doch symptomatisch: Der spanische Ex-Premier José Luis Rodríguez Zapatero hat vergangene Woche bei einer UN-Konferenz eine „Allianz der Religionen“ vorgeschlagen. An sich keine unvernünftige Idee – aber ein Grundprinzip sollte laut Zapatero der Verzicht auf Wahrheitsanspruch sein, denn es gebe nur eine Wahrheit: Freiheit und Respekt.

Das sind aber erstens zwei Wahrheiten. Zweitens postuliert Zapatero damit etwas, was er nicht billigt, nämlich absolute Wahrheit. Und drittes ist das ein Beispiel für den verbreiteten Grundirrtum, dass eine friedliche Gesellschaft keine Wahrheitsansprüche verträgt.

Das Gegenteil ist der Fall. Eine Gesellschaft muss absolute Wertvorstellungen nicht nur zulassen, sondern ist sogar auf sie angewiesen. Wenn eine Gesellschaft nicht zumindest eine ungefähre gemeinsame Vorstellung von dem entwickelt, was wahr und gut und was falsch und schlecht ist, wie will sie dann wissen, was Fortschritt ist? Dass zum Beispiel Gewaltverzicht besser ist als eine Gewaltspirale? Ich halte Gewaltverzicht für einen gewaltigen Fortschritt. Nicht aber den Verzicht auf Überzeugungen. Alles gleich gut zu finden, ist der Verzicht auf Fortschritt. Dass es keinen Wahrheitsanspruch geben darf, ist ein Über-Wahrheitsanspruch, eine dramatische Verengung. Er erinnert an den Ungeist des Um-jeden-Preis-die-eigene-Vorstellung-Durchsetzens, der uns in extremer Ausprägung in den tragischen Nachrichten aus der Ukraine oder dem Nahen Osten begegnet.

Wenn ich auch die Ächtung der Gewalt – von der Abschaffung der „g'sunden“ Watschen über den Siegeszug der Mediation bis zum Verbot von Zwang in religiösen Dingen – für den großen zivilisatorischen Fortschritt schlechthin halte, hat sie doch Nebenwirkungen, die bedenklich sind.

Die eine ist die bereits skizzierte Überempfindlichkeit, die schon in jeder Wertung eine Verletzung und daher eine Gewalttätigkeit sieht. Aber nicht nur die eigene Ideologie oder die eigene Religion, sondern auch die eigene Zivilisation verliert ihre Selbstbehauptungskraft, wenn es unstatthaft (und mangels gemeinsamen Maßstabs auch unmöglich) wird, sie besser zu finden als andere.

So haben etwa Menschen, deren einziger absoluter Wert die Diversität ist, oft Schwierigkeiten damit, sich im Kulturkampf zu entscheiden: Wie soll man etwa eine frauenunterdrückende Kultur kritisieren, wenn es zwischen Taliban und Pastafari keinen qualitativen Unterschied geben darf?

Zur zweiten bedenklichen Nebenwirkung – der gutgemeinten Abneigung gegen Idealbilder, auch Rollenklischees genannt – nächste Woche mehr.
Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

meinung@diepresse.com

diepresse.com/cultureclash

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.07.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.