Exodus

Exodus. Mosul markiert einen neuen Höhepunkt der modernen Christenverfolgung. Es gibt viele Gründe, warum man hier so verhalten darauf reagiert. Nicht alle sind gut.

Als nun die IS-Milizen in Mosul die letzten 150 Familien einer der ältesten christlichen Gemeinden der Welt vertrieben haben, haben viele meiner christlichen Freunde gefragt: Warum schreit die Weltöffentlichkeit nicht auf, warum tut niemand was? Die heutige Christenverfolgung ist laut Papst Franziskus schlimmer als im Römischen Reich. Schätzungen reichen bis zu 100 Millionen verfolgter oder benachteiligter Christen. Jährlich sterben mehr als 100.000 den Märtyrertod. Warum regt uns das nicht auf?

Es regt uns auf. Es hat nur keine Konsequenzen. Das hat mehrere Gründe. Erstens regen uns alle Verfolgungen auf, und da gibt es sehr viele. In Mosul werden auch Schiiten, Jesiden und Schabacken geköpft. Und in der Identität unserer Journalisten oder Politiker spielt das Christsein meist keine solche Rolle mehr, als dass sie sich Christen anderswo besonders verbunden fühlten.

Zweitens gibt es die eine Christenverfolgung nicht. In Nordkorea hat sie völlig andere Vorzeichen als im Sudan. IS und Boko Haram sind etwas anderes als das chinesische Religionsministerium.

Drittens verhindert die politische Korrektheit einen klaren Blick. Manche Menschen, die bei uns für Zuwanderer und Flüchtlinge und daher gegen Islamophobie eintreten, haben eine Hemmung, über Christenverfolgung anderswo zu sprechen. Denn da käme der Islam nicht gut weg. Von den zehn Ländern, die Christen am meisten benachteiligen, sind neun islamisch geprägt. Von allen 39 muslimischen Staaten kennt nur Gambia echte Gleichberechtigung der Christen.

Ich verstehe die Hemmung. Schließlich gibt es – etwa auch im Irak – viele Muslime, die sich für die Christen einsetzen. Auch die katholischen Bischöfe im Heiligen Land haben sich im April dagegen gewandt, Gewalt durch „Kriminelle, die behaupten, Muslime zu sein“ pauschal als Verfolgung zu bezeichnen. Differenzierung muss sein, aber Wegschauen ist auch keine Lösung.

Aber was wäre denn eine Lösung? Was es bringt, wenn der Westen vorübergehend ein Land im Namen der Menschenrechte besetzt, zeigt gerade das Beispiel Mosul recht eindrücklich. Im Sanktionieren von Menschenrechtsverletzern ist der Westen derzeit ebenso schwach unterwegs wie bei der Bekämpfung marodierender Banden à la IS – ob sie nun Christen verfolgen oder nicht.

Lauter Gründe, warum so wenig geschieht. Der Einzelne kann freilich etwas tun, auch fernab der Politik. Spenden etwa, oder – als religiöser Mensch – beten und fasten. Oder, auch wenn das jetzt pathetisch klingt, sein Leben als Antwort auf Hass, Egoismus und Gewalt leben.
Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

meinung@diepresse.com

diepresse.com/cultureclash

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.07.2014)

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