Schwarze Zukunft

Seit 1968 hat sich die Weltbevölkerung verdoppelt und der Anteil der Unterernährten halbiert. Trotzdem könnte die Überbevölkerungsangst wiederkommen.

Die Google-Statistik, die Millionen eingescannter Bücher auswertet, zeigt es deutlich: Die Häufigkeit des Begriffs „Bevölkerungsexplosion“ ist von 1955 bis 1972 noch explosionsartiger angestiegen als die Weltbevölkerung selbst. Die wuchs damals ja auf Rekordniveau. 1968 wurde das Buch „Die Bevölkerungsbombe“ von Paul Ehrlich ein Weltbestseller. Der Biologe erklärte, dass die maximale Zahl an ernährbaren Menschen erreicht sei. Noch in den 1970er-Jahren würden hunderte Millionen in gewaltigen Hungersnöten sterben. Indien breche zusammen. Die USA seien in Gefahr, von einer globalen Hungerrevolte überrollt zu werden.

Es kam aber ganz anders: Das Wachstum verlangsamte sich (ein Prozess, der bis heute anhält) und die Hungersnöte blieben in dieser Dimension aus. Seit Ehrlichs Buch erschien, hat sich die Weltbevölkerung auf 7,2 Milliarden verdoppelt, der Anteil der Unterernährten hat sich auf 16 Prozent halbiert. Alle Prognosen gaben zuletzt Entwarnung: die Weltbevölkerung werde um 2060 mit über neun Milliarden das Maximum erreichen und danach sinken. Ruhe ist eingekehrt. Begriffe wie „Bevölkerungsexplosion“ oder „Überbevölkerung“ hört man viel seltener. Was blieb, sind nüchterne Erörterungen begleitender Maßnahmen, in deren Mittelpunkt höhere Bildung der Frauen steht.

Das könnte sich nun wieder ändern. Die Universität Washington hat mit der UNO eine neue Prognose entwickelt, die mit einer 80-prozentigen Wahrscheinlichkeit annimmt, dass die Weltbevölkerung bis zum Jahr 2100 doch weiter wachsen wird – auf 9,6 bis 12,3 Milliarden. Wenn man sich die Studie genauer anschaut, merkt man, dass die Abweichung von bisherigen Prognosen einzig auf Afrika zurückzuführen ist. Dort gehen die Geburten nicht ganz so schnell zurück wie bisher angenommen, und es sterben doch nicht ganz so viele an Aids. In allen anderen Kontinenten sieht aber auch die neue Studie ein Ende des Wachstums.

Trotzdem könnte der Alarmismus wiederkehren. Und mit ihm der noch in den 1990er-Jahren grassierende, heute fast verschwundene, selbst entlarvende Begriff „Bevölkerungskontrolle“ – die anmaßende Beschäftigung damit, welches Sexualleben die Leute anderswo, vor allem die Schwarzafrikaner, haben müssen, damit es für uns in Europa und den USA nicht ungemütlich wird.

Vielleicht ist meine Sorge übertrieben. Aber die Studie entstand unter den Fittichen der UNO. Und die sind das beste Treibhaus für jene, die so gern mit kollektiven Zwangsaktionen die Welt retten. Da das Klimathema derzeit nicht so heiß ist, kommt die recycelte Bevölkerungsbombe gerade recht.

Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

meinung@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.09.2014)

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