Neujahrsbilanz

Neujahrsbilanz. Geht es uns in Österreich gut? Die Arbeitslosenzahlen sagen Nein – und irgendwie auch Ja. Und eine weltweite Umfrage hat dazu eine überraschende Auskunft.

Der Jahreswechsel ist im Leben der urbanen westlichen Kultur der Moment, Bilanz zu ziehen: Ging es uns gut? Geht es uns gut? Wird es uns gut gehen?

Vorgestern kam die Nachricht: Wir haben in Österreich die höchste Arbeitslosigkeit seit 1955. Also geht es uns schlecht. Aber wir haben noch immer die zweitniedrigste Arbeitslosenrate aller EU-Länder. Also geht es uns besser als den meisten anderen. Wir haben aber in Österreich auch das höchste Beschäftigungsniveau aller Zeiten. Noch nie zuvor haben so viele Menschen in unserem Land bezahlte Arbeit gehabt. Also geht es uns gut.

Falls Sie die Gleichzeitigkeit von Arbeitslosen- und Beschäftigtenrekord verwirrt: Trotz Krise gehen in Österreich derzeit netto keine Jobs verloren– es werden sogar neue geschaffen. Aber es wächst die Zahl der Arbeitswilligen und -suchenden: zum Beispiel der EU-Ausländer, die hier eher Arbeit bekommen als zu Hause in Ungarn, Rumänien oder Ostdeutschland – sie drängen weniger gut ausgebildete Türken oder Jugoslawen aus dem Job (die Hälfte des Arbeitslosenzuwachses in 2014 entfiel auf Ausländer). Oder Ältere, die der Staat in früheren, üppigeren Zeiten mit attraktiven Frühpensionen aus dem Arbeitsmarkt herausgelockt hätte.

Dass der Arbeitsmarkt in Österreich immer noch relativ attraktiv ist, ist also auch einer der Gründe dafür, dass die Arbeitslosigkeit steigt. (Die Wirtschaftsforschung beobachtet solche Phänomene immer wieder: Klassisch ist das Beispiel, dass im Dorf die Arbeitslosigkeit steigt, wenn ein Supermarkt aufmacht. Da dann viele Frauen, die bisher nur zu Hause arbeiteten und in der Statistik nicht aufschienen, nun auch einen Job wollen wie ihre nun erstmals – im Supermarkt – angestellten Freundinnen.) Trotzdem: 10,1 Prozent Arbeitslose sind sehr viel. Es bedeutet, dass jeder 20. arbeitswillige erwachsene Österreicher derzeit stempeln geht. Immer öfter sehr lang.

Also wie geht es uns denn nun? Das amerikanische Meinungsforschungsunternehmen Gallup hat kürzlich eine Umfrage in 135 Ländern veröffentlicht, die auf nur zehn Fragen basiert. Die Fragen (zu Gesundheit, Beziehungen, Finanzen, Motivation und sozialem Umfeld) sollten herausfinden, wie gut es den Betreffenden geht – in ihrer eigenen Einschätzung. Das untere Ende der Skala ist erwartbar: In Syrien, Afghanistan, Haiti und dem Kongo gibt es die wenigsten Menschen, denen es gut geht. Aber das obere Ende überrascht: Am besten in aller Welt geht es den Leuten in Panama, Costa Rica, Dänemark und – Österreich.

Ist das aber gut, dass es uns so gut geht? Darüber nächste Woche mehr.


Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

meinung@diepresse.com

www.diepresse.com/cultureclash

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.01.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.