Je ne suis que Michel

Der Kult um »Charlie Hebdo« ist überzogen. Aber ihr neues Mohammed-Titelbild hat schon auch seine Qualitäten. Ausnahmsweise.

Wenn der Online-Spiegel am Samstag titelte: „In der islamischen Welt entlädt sich die Wut über ,Charlie Hebdo‘“, dann war das etwas übertrieben. In Niger hat es tatsächlich Tote gegeben, in Karatschi wollten 200 Menschen das französische Kulturinstitut stürmen. Aber sonst gab es nur ein paar schüttere Demos. Sogar ein Ereignis wie die ebenfalls am Freitag stattfindende „Kussdemo“ vor dem Wiener Café Prückel hatte mehr Teilnehmer als die meisten von ihnen.

Die aus 1,6 Milliarden Muslimen bestehende islamische Welt ist insgesamt recht ruhig geblieben, nachdem „Charlie Hebdo“ wieder mit einer Mohammed-Karikatur aufgemacht hat. Trotzdem bleibt die Frage, ob dieses Titelsujet gut ist. Gerade in linksliberalen Medien gibt es eine nachdenkliche Diskussion darüber: auf der einen Seite ein Magazin, das seit jeher seiner Verachtung aller Religionen freien Lauf gibt, was manche als die edelste Ausdrucksform der Meinungsfreiheit ansehen. Aber auf der anderen Seite die europäischen Muslime, eine vom Rechtspopulismus bedrängte, sozial schwache Minderheit. Wem hält man die Stange?

Ich für meinen Teil bewundere die Courage der Redaktion. Man kennt ja auch den Typ Satiriker, der sich nur Opfer aussucht, die nicht zurückschlagen. Und in diesem Ausnahmefall eines Lebenszeichens nach dem feigen Mord, da hat, so finde ich, eine solche Karikatur sogar einen Sinn. Es ist eine Manifestation der Unerschrockenheit – „durch Gewalt lassen wir uns nicht einschüchtern“ –, die dem Terror den Triumph stiehlt. Chapeau!

Im Allgemeinen aber ist es ein Überlebensprinzip einer zivilisierten Gesellschaft, dass man das, was man darf, nicht auch bis zum Letzten ausreizt. Dass man Karikaturen bleiben lässt, die man auf jede Pegida-Demonstration mitnehmen könnte, die sich rassistischer Stereotype bedienen, die nicht die Mächtigen enthüllen, sondern die Machtlosen verletzen. Solche Satire erhellt und erkämpft nichts. Sie tut nur weh und vertieft die Entfremdung.

Aber dieses Bild des Mohammed, der über das Attentat weint, der sagt „Alles ist vergeben“ und ein „Je suis Charlie“-Täfelchen trägt, das hat schon etwas. Hätten Christen das Attentat verübt, und statt des Propheten stünde Christus so auf dem Titelblatt, wäre das Ganze völlig stimmig: Christus will keine Gewalt, er verzeiht, er ist dort, wo Menschen leiden. Zeigt das einen fundamentalen Unterschied zwischen den Religionen auf? Oder ist doch auch der Koran ein Buch der Liebe und der Islam eine Religion der Barmherzigkeit, wie oft versichert wird? Gute Karikaturen werfen genau solche Fragen auf.


Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.01.2015)

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