Romantische Unterwerfung

Wenn man die Kritiken der Fans ernst nimmt, hat der Erfolg von "Fifty Shades of Grey" mit Sex viel weniger zu tun als mit Erlösungsfantasien.

Der Film „Fifty Shades of Grey“ hat allein in den USA am ersten Wochenende 10,2 Millionen Kinobesucher angelockt. Rekorde hat er damit nicht gebrochen, aber in der Liste aller Filme mit einem R-Rating (ab 17) ist das immerhin Platz sechs. Nur selten gelingt einem Film mit so schlechten Kritiken ein solcher Anfangserfolg. Ohne den Welterfolg der Romanvorlage hätte das „Fifty Shades of Grey“ nicht geschafft.
Wie erklärt sich aber der Welterfolg des Buchs, von dem Salman Rushdie sagt, dass es so schlecht geschrieben sei, dass „Twilight“ daneben wirke wie „Krieg und Frieden“? Dazu gibt es unzählige Theorien, etwa dass es heute nicht mehr peinlich ist, sich als Erotikleserin zu outen. Ja schon. Aber warum gerade dieses Buch? Der Titel ist schon einmal ziemlich gut. Klingt nach mehr. Und man lese die hymnischen Rezensionen auf Amazon: Fast immer, wenn eine Leserin mehr schreibt als bloß „Habe es an einem Tag verschlungen“, dann nennt sie nicht die Sexszenen, sondern die „wunderbare Liebesgeschichte“. Der Sex ist halt Sadomaso, weil das Normale irgendwie schon fad ist. Das ist nicht der Grund für den Hype.

„Fifty Shades of Grey“ wird geliebt als „The Beauty and the Beast“ für Erwachsene: Eine Frau kann durch Aufopferung und Hingabe einen im Herzen tief verletzten Mann (einen verwunschenen Märchenprinzen, Pardon, Milliardär) nicht nur für sich gewinnen, sondern ihn auch gut machen, heilen, erlösen. Das ist ein Grundtopos der Paarbeziehung: Männer wünschen sich, dass ihre Frauen bleiben, wie sie sind. Frauen wünschen sich, dass sich ihre Männer ändern. Beide gehören zu den am häufigsten nicht erfüllten Wünschen der Menschheit.

„Fifty Shades of Grey“ ist eine ganz altmodische Fantasie. Was die dort ausgebreitete Faszination der Unterwerfung aber problematisch macht. Zum Erlösungswerk der Anastasia Steele gehört ihre Erniedrigung, ihr Erdulden eines Missbrauchsmannes – in der Hoffnung, ihn doch einmal zu einem besseren, liebenden Menschen zu machen. Mitarbeiter von Frauenhäusern wissen über solche Hoffnungen ein trauriges Lied zu singen. Aber das Buch ist doch nur Fantasie, mag man einwenden. Niemand nimmt es ernst. Aber seine Verheißung bleibt doch eine Lüge: dass durch die Erotik der Grenzüberschreitung eine Beziehung erfüllt und erfüllend wird. Im wirklichen Leben mündet eine solche Amour fou nicht in das Glück, sondern ins Nichts: in die Ödnis der ausgereizten Möglichkeiten.
Oder zuvor schon in der Lächerlichkeit. Die Londoner Feuerwehr muss in letzter Zeit häufiger ausrücken, weil jemand aus seinen Handschellen nicht mehr herauskommt.


Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

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