Konforme Gesellschaft

Ein neues Gleichbehandlungsgesetz soll die Privatautonomie einschränken. Es weitet den Diskriminierungsschutz nicht aus - es überdehnt ihn.

Ein Mann will eine Zahnbürste kaufen und muss sich anhören: „An Schwule verkaufen wir nicht!“ Jeden anständigen Menschen würde das aufregen, er würde die Faust in der Tasche ballen und die Drogerie künftig meiden. Wenn sich politische Eliten aufregen, ballen sie nicht die Faust, sondern machen ein Gesetz. Das Küssergate des Wiener Café Prückl war so ein Fall. Nachdem zwei Frauen wegen zu heftigen Schmusens aus dem Lokal gebeten worden sind, hat die SPÖ die Novelle zum Gleichbehandlungsgesetz wieder aufs Tapet gebracht. Sie soll Geschäftsleuten und Privatpersonen verbieten, Kunden aufgrund ihrer Religion oder sexuellen Orientierung abzulehnen. Das ist verständlich und trotzdem keine gute Idee.

Wo es schon solche Gesetze gibt, zeigt sich, dass sie nicht nur den Respekt vor der Person vorschreiben, sondern auch vor dem, was sie tut: In Deutschland wurde jemand verurteilt, der eine Villa nicht für die Hochzeitsfeier eines Männerpaares vermieten wollte: „Das Haus gehört meiner Mutter, und die kann sich mit den neuen Gegebenheiten noch nicht recht anfreunden.“ In den USA gibt es Strafen für Bäcker, die für Gay Weddings keine Hochzeitstorten backen wollen.

Abzugrenzen was jemand ist, von dem, wie er lebt, ist natürlich immer heikel. Es von vornherein nicht zu tun, führt aber dazu, dass Privatleute per Gesetz an etwas mitwirken müssen, was sie für sündhaft, unmoralisch, unanständig oder „just plain wrong“ halten. Den meisten Geschäftsleuten ist egal, was der Kunde tut. Eine Minderheit will sich aber vorbehalten, ihrem Gewissen oder ihren Ängsten folgen zu dürfen – nicht, um sich dem Kunden zu verweigern, sondern seinem Tun. Dieser Vorbehalt wird kriminalisiert.

Dass das Tun vom Diskriminierungsschutz mitumfasst ist, ist natürlich beim Merkmal der Religion genauso. Und geht auch hier zu weit. Darf ein Atheist wirklich gezwungen werden, an einer Taufe oder einer Beschneidung mitzuwirken?

Offenbar hat der liberale Grundsatz „leben und leben lassen“ ausgedient. Stattdessen soll man alles, was erlaubt ist und nicht dick macht, nicht nur dulden, sondern unterstützen. Eine freie Gesellschaft, die unterschiedliche Moralvorstellungen zulässt, sollte aber – bei aller Ablehnung von Vorurteilen gegen Menschen – erlauben, dass man Vorbehalten gegen Verhaltensweisen treu sein darf. Die freie Gesellschaft braucht nicht die Machterweiterung des Strafrichters, sondern ein zweifaches Lernen: Respekt vor anderen zu haben, auch wenn sie nicht tun, was ich für gut halte. Und dass es o. k. ist, dass andere nicht für gut halten, was ich tue.

Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

meinung@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.03.2015)

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