Freier Kopf oder freier Mensch?

Freier Kopf oder freier Mensch? In Deutschland wackeln die Kopftuchverbote für Lehrerinnen. Ist das der Anfang vom Ende einer verlogenen Gesetzgebung?

Dass Österreich liberaler ist als Deutschland, sieht man in der Schule. Hier ist Lehrerinnen das Kopftuch als Akt freier Religionsausübung erlaubt, in acht deutschen Bundesländern aber verboten. Noch – denn der Bundesverfassungsgerichtshof hat zunächst einmal für Nordrhein-Westfalen das Verbot gelockert: Ohne konkrete Gefährdung des Schulfriedens dürfe man nicht derart in die Freiheit des Einzelnen eingreifen.

Von den Kritiken dieser Entscheidung möchte ich nur das faszinierende Sprachbild des Bürgermeisters von Berlin-Neukölln zitieren: „Ich finde, der Zug fährt hier rückwärts – und das auch noch in verkehrter Richtung.“ Ihn und andere stört, dass das Höchstgericht den Persönlichkeitsrechten Vorrang gibt vor dem „Gebot des staatlichen wertneutralen Handelns“. Die meisten Kopftuchgesetze gehen ja davon aus, dass der Staat religiös neutral sein müsse und daher die Staatsdiener auch optisch neutral zu sein haben.

Dieser Ansatz ist allerdings verlogen. Das unumwickelte Haupt einer Lehrerin drückt ja nicht Neutralität des Staates aus, sondern im Gegenteil sein Bekenntnis zur hiesigen Leitkultur, die religiös induzierte Kleidungstraditionen für die Masse nicht mag. Insofern ist der Staat Bayern ehrlicher, der klar sagt, dass ein Lehrerinnen-Kopftuch die Vermittlung der verfassungsgemäßen christlich-abendländischen Wertewelt nicht transportiert und daher unzulässig ist. Diese Sicht ist zwar auch nicht vereinbar mit den Werten einer pluralistischen Gesellschaft, aber man bemüht wenigstens nicht Scheinargumente.

Genauso wäre es ehrlich, das Kopftuch zu verbieten, wenn man es als Zeichen der Unterwerfung der Frauen sieht. Auch hier wäre die Grundlage nicht die Wertneutralität des Staates, sondern sein positives Bekenntnis zur Gleichberechtigung der Geschlechter. Das würde aber dem Islam einen Vorwurf machen. Also schiebt man die Neutralität vor und verbietet dem Lehrpersonal jegliches auffällige religiöse Symbol, manchmal (wie in Nordrhein-Westfalen) mit dem Hinweis auf einen sonst gefährdeten Schulfrieden. Das ist aber eine Bankrotterklärung der Idee der pluralistischen Gesellschaft, die davon ausgeht, dass das Zusammenleben der Religionen in Frieden möglich ist, ohne dass man seine Zugehörigkeit verstecken müsse. Und noch einmal: Wenn es zwei kulturelle Modelle A und B gibt, die miteinander wetteifern, und alle Staatsrepräsentanten müssen ausschauen wie in Modell A – was in aller Welt ist daran neutral?

Das Bundesverfassungsgericht hat nicht nur der Freiheit, sondern auch der Wahrhaftigkeit einen Dienst erwiesen.
Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

meinung@diepresse.com

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.03.2015)

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