IS und der Westen

Haben wir eigentlich noch Interesse daran, unsere Welt zu verteidigen – oder überlassen wir das der Privatinitiative einiger weniger Helden?

Was würden Sie tun, meine Herren? Angenommen, Sie liegen mit der Frau Ihres Lebens an einem Strand in Tunesien, wenn IS-Terroristen das Feuer eröffnen. Würden Sie es so machen wie der 30-jährige Brite Matthew James, der sich schützend vor seine Lebensgefährtin geworfen hat, als das Schießen begann? Er hat eine Kugel in die Schulter, eine in die Brust und eine in die Hüfte bekommen und zu seiner Sarah gesagt: „I love you babe. But just go – tell our children that their daddy loves them.“ Was würden Sie tun, meine Damen? Ihren Mann zurücklassen und weglaufen? Oder bei ihm bleiben – damit aber vielleicht sein Opfer sinnlos machen?

Niemand von uns kann sagen, ob er im Ernstfall ein Held wäre oder vernünftig bliebe. Heldentaten als Höchstform des Anstandes haben ja immer etwas Irrationales an sich, denn Opfer, die man aus Kalkül brächte, wären keine Opfer, sondern bloß Investitionen. Am selben Tag, als das Massaker an Touristen in Tunesien stattfand, kam übrigens die Bestätigung, dass der IS in der syrischen Grenzstadt Kobane mindestens 146 Zivilisten ermordet und Dutzende andere entführt hat. Ein gleichzeitiger IS-Angriff auf die Stadt Hassakeh hat einen Flüchtlingsstrom von 60.000 Menschen ausgelöst. Das führt zu einer Grundfrage: Wie soll das, was man den Westen nennt, auf den Terror des IS reagieren?

Indem man die eigenen Leute so gut wie möglich schützt und die anderen sich selbst überlässt? Das ist eine gängige Taktik. Ich denke da etwa an Ruanda, wo die UNO 1994 hauptsächlich damit beschäftigt war, ein paar hundert Ausländer zu schützen, während hunderttausende Tutsis abgeschlachtet wurden. Heldenmütig waren da nur Einzelne, wie der Kommandant Roméo Dallaire aus Kanada, der in Eigeninitiative 32.000 Menschen das Leben gerettet hat.

Aber vielleicht ist es sehr vernünftig, sich auf die eigenen Steuerzahler zu beschränken. Noch dazu, wo der Westen, dessen Identität gerade zerbröselt, offenbar ökonomisch wie moralisch nicht mehr in der Lage ist, sich für die Rolle des Weltpolizisten zu rüsten. Aber ist es deswegen gescheit, weder die eigenen Leute noch die anderen zu schützen? Dazu passt, was der von Generalleutnant Dallaire inspirierte kanadische Liedermacher Andy McGaw singt: „Thank you for callin' the United Nations/We can't take your call right now cause we're all on vacation/If you need support hug your teddy bear/If you're in big trouble boys better say your prayers?“

Übrigens: Sarah hat sich in Sicherheit gebracht, und Matthew hat überlebt. Er wird zuhause zu Recht als Held gefeiert.

Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

meinung@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.06.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.