Griechenland – ein unlösbarer Fall?

Sechs Thesen für alle, die die Hoffnung auf ein funktionierendes Europa nicht aufgeben wollen. Grexit hin oder her.

1.) Man muss Spekulanten nicht mögen, aber an der Misere Griechenlands sind sie nicht schuld. Das Hauptproblem der Griechen ist ihre weit abgeschlagene Wettbewerbsfähigkeit. Die daraus resultierende übermäßige Kreditaufnahme (die das Geld ersetzt, das man auf dem Markt nicht verdienen kann) wurde durch die Währungsunion begünstigt (durch niedrige Zinsen) statt gebremst (durch unwirksame Kontrollen).

2.) Wettbewerbsschwache Volkswirtschaften können sich in einer Währungsunion nur halten, wenn sie deren Chancen nützen, um ihre eigene Konkurrenzfähigkeit auf Vordermann zu bringen. Die Weltfinanzkrise hat die Misere Griechenlands nicht verursacht, sondern ans Licht gebracht: dass das Land nach zehn Jahren Währungsunion weiter abgeschlagen war als davor.

3.) Vordringliche Rettungsaufgabe wäre die nachhaltige Hebung der Wettbewerbsfähigkeit. In keinem anderen Land der EU ist es mühsamer, ein Unternehmen zu gründen oder zu führen. In keinem Land geht so viel Zeit für Behördenwege drauf. Laut dem Index der Heritage Foundation ist die Wirtschaft in Europa nur in Russland, der Ukraine und Weißrussland noch weniger frei als in Griechenland. Bei Korruption ist Griechenland mit Italien und Rumänien Schlusslicht der EU.

4.) Ein vernünftiger Sanierungsplan müsste vor allem langfristige Maßnahmen zur Stärkung der Investitionsfreude im Land vorsehen. Die EU geht derzeit mit Griechenland um wie mit einem verschuldeten Spediteur, von dem nichts mehr zu erwarten ist, sodass man lieber seinen Fuhrpark pfändet als seine Firma wieder flott zu machen. Aber das gefährdet das Ziel der Hebung der Konkurrenzfähigkeit: In allen Wettbewerbsrankings hat sich Griechenland deutlich verschlechtert, seit es in seiner Schuldenkrise feststeckt.

5.) Die Ausweitung des Staatssektors, wie in Keynesianer fordern, würde die Krise nur vorübergehend behübschen. Die im europäischen Vergleich erbärmliche Wettbewerbsfähigkeit hat tiefe kulturelle Wurzeln und braucht daher einen Kulturwandel. Das kostet Jahrzehnte, ist aber nicht unmöglich. Irland etwa hat gezeigt, wie man mit EU-Hilfen den Anschluss finden kann. Auch Griechenland muss sich nicht allein aus dem Sumpf ziehen. Es müsste freilich für eine stärkere Hilfe Europas in diesem Kulturwandel Abstriche seiner Souveränität akzeptieren.

6.) Ein Ja bei der Abstimmung könnte mit sehr viel Glück in diese Richtung führen – zu einer Rettungspartnerschaft in einem realistischeren und daher reiferen, solidarischen Europa. Ob die so unterstützten Griechen im Euroraum bleiben, wäre dann nur mehr ein technisches Detail.
Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.07.2015)

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