Keiner von uns

Warum wir von Straftätern so selten lesen, welche Zeitung sie abonniert haben – und so oft, aus welchem Land sie kommen. Und ob das so bleiben soll.

Kürzlich las ich in einer Gratiszeitung: „,Standard-Leser‘ überfällt Bank“ (der Täter hatte seine Waffe in einen „Standard“ eingewickelt). Für mich Ex-„Presse“-Redakteur war das ein Moment altersmilder Schadenfreude. Aber es war trotzdem unsachlich von der Gratiszeitung, auch wenn sie den „Standard“-Leser – in einem Anflug schlechten Gewissens? – in Anführungszeichen setzte.

Die Rarität dieses Titels führt uns zur Frage, warum es im Gegensatz dazu ganz normal ist, die ethnische Herkunft von Tätern zu nennen. Die Frage ist heiß. Das Zürcher Stadtparlament etwa wird in Bälde beschließen, dass die Polizei in ihren Berichten die Herkunft von Tätern nur noch nennen darf, wenn sie für die Tat relevant ist. Und was soll ein Journalist tun?

Eine Bosnierin erstickt ihr Kind. Ein Serbe schießt um sich und trifft einen 13-Jährigen. Ein Deutscher wird wegen Missbrauchs verurteilt. „Mich trifft es jedes Mal, wenn etwas über einen türkischen Täter in der Zeitung steht“, sagte mir eine junge Türkin, als ich noch in der „Presse“ schrieb. „Etwas davon fällt immer auf mich zurück. Stellen Sie sich vor, die Zeitungen schreiben: ,Katholik als Autodieb verurteilt.‘ Was würden Sie da fühlen?“ (Wir waren uns in einer Kirche begegnet.)

Leser wollen sich von einem Täter ein Bild machen. Dazu brauchen sie offenbar nur drei Angaben: Geschlecht, Alter und Herkunft. Hingegen sind Orientierung, Beruf etc. für die Beschreibung – oder besser Klassifikation – des Täters nur bei Relevanz gefragt. Darum lesen wir zwar manchmal „Arzt schneidet falsches Bein ab“, aber so gut wie nie „Teilzeitarbeiter in Messerstecherei verwickelt“ oder „Raucher als Taschendieb gefasst“ oder eben „,Standard-Leser‘ raubt Bank aus“.

Warum gerade die Herkunft bei der schnellen Einordnung eine solche Rolle spielt, hängt wohl mit dem Schrecken zusammen. Man will sich gegen Verbrecher wappnen: Wie sieht so jemand aus? Und ist er einer von uns? Man freut sich über ein „keiner von uns“: Wenn der Täter einer Minderheit angehört, brauchen wir Mehrheitler uns weniger vor unseresgleichen zu fürchten. Und es bestätigt, auf andere herunterschauen zu dürfen – ein beliebtes, wenn auch nicht nachhaltiges Hausmittel gegen Angst und innere Leere. Gerade der Boulevard dealt gern mit solchen emotionalen Mittelchen.

Es geht nicht an, relevante Fakten zu unterschlagen. Verbote wären unangebracht. Journalisten muss es erlaubt sein, ihre Geschichten so zu erzählen, wie sie das für gut halten. Sie müssen sich aber klarmachen, bei welchem Spiel sie da mitspielen.


Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

meinung@diepresse.com

diepresse.com/cultureclash

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.07.2015)

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