Flüchtlingswahl

Angeblich beherrscht das Flüchtlingsthema die Wahl. In Wirklichkeit geht es um das Fehlen von Staatsmännern in Zeiten zunehmender Verunsicherung.

Wo doch das Flüchtlingsthema einen so großen Einfluss auf das Wahlverhalten hat – wie haben in Oberösterreich jene Gemeinden gewählt, in denen es viele Asylwerber gibt? Ich habe mir da eine kleine Statistik gemacht: Im Schnitt fielen die Gemeinderatswahlen in den 20 Gemeinden mit überdurchschnittlichem Flüchtlingsanteil kaum anders aus als im Rest des Landes. Die ÖVP (die 18 von den 20 Bürgermeistern stellt) verlor in diesen Gemeinden im Schnitt 3,4 Prozentpunkte (landesweit 4,0), die FPÖ legte um 6,6 Prozentpunkte zu (landesweit um 8,1).

Natürlich ist die Statistik holzgeschnitzt. Aber sie bietet doch eine Grunderkenntnis: Ob im Ort viele, wenige oder gar keine Flüchtlinge sind, hat im Schnitt wenig Einfluss darauf, wie die Leute wählen. Meine These, warum das so ist: Wer sich davor noch nicht vor Flüchtlingen gefürchtet hat, lernt auch dann das Fürchten nicht, wenn er sie von Angesicht zu Angesicht kennenlernt. Flüchtlinge machen die örtliche Lebensqualität nicht kaputt. Umgekehrt gilt aber auch: Wem die Flüchtlinge Brennpunkt seiner Zukunftsängste sind, dem bleiben sie das auch dann, wenn sie im Ort Einzug halten. Die Hoffnung, dass sich bei näherer Tuchfühlung Vorurteile auflösen, scheint sich nur in kleinem Umfang zu erfüllen. Und generell: Ist ein Bürgermeister stark, kann er sich viele Flüchtlinge leisten.

Was heißt das nun für Wien? Auch hier scheint mir der konkrete Flüchtling wenig Auswirkung zu haben. Man begegnet ihm im Stadtbild auch nur selten. Aber der Flüchtling an sich ist zur Chiffre für die neue, große Verunsicherung geworden – und für das Unvermögen der Regierenden, uns Sicherheit zurückzugeben. Krieg in der Ukraine und der Türkei, ungehinderte Wahnsinnige im Nahen Osten, die Russen in Syrien, die Syrer bei uns, die Amerikaner aus der Weltpolitik abgemeldet, die EU auf Betriebsferien, die Zinsen im Keller, die Arbeitslosigkeit hoch. Selbst VW ist nicht mehr solide. Und wem es dabei mulmig wird, der findet weder bei Obama, Merkel, Cameron, Hollande noch bei Faymann, Mitterlehner, Häupl noch bei Pühringer Fittiche, unter denen er wieder Mut fassen könnte.

Auch nicht wirklich bei Strache. Staatsmänner wären jetzt gefragt, sind aber so schnell nicht aufzutreiben, auch in der FPÖ nicht. Von Strache erwartet niemand, dass er Probleme löst. Aber er signalisiert Entschlossenheit und tut vor allem denen so schön weh, von denen man frustriert ist, weil sie einen nicht mehr in Sicherheit wiegen können. Ob da tatsächlich ein paar tausend Flüchtlinge mehr in der Stadt sind, hat mit all dem wenig zu tun.

Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

meinung@diepresse.com

www.diepresse.com/cultureclash

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.10.2015)

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