Rote Lippen soll man küssen

Werden Jugendliche, die allergisch auf Schwule reagieren, auf einmal tolerant, wenn man ihnen zwei Männer beim Küssen zeigt?

In Wiener Schulen und Jugendeinrichtungen sollen jetzt 3000 Plakate aufgehängt werden, die „irrationale Ängste vor gleichgeschlechtlich empfindenden Menschen“ abbauen sollen, wie der Initiator der Aktion erklärt. Dahinter stehe die Grundhaltung, dass es Homo- und Heterosexuellen um dieselben Gefühle und Wünsche gehe: Geborgenheit, Liebe und Zuneigung. So weit ist das ganz in Ordnung. Nach wie vor gibt es – gerade im Jugendlichenalter – Stigmatisierung und die quälende lange Angst vor einem Outing.

Die Plakate zeigen küssende Pärchen: einmal zwei Männer, einmal zwei Frauen, einmal gemischt. Dazu der Slogan: „Liebe verdient Respekt!“ Aber warum eigentlich? Warum verdient Liebe Respekt? Wenn zum Beispiel Herrn Bumsti das Verlangen überfällt, meine Frau zu küssen, kann ich ihm zwar Anerkennung für seinen guten Geschmack zollen, aber wieso verdient das, was er da empfindet, meinen Respekt? Oder ist mit Liebe hier was anderes gemeint – aber dann ist sie auch nicht das Problem. Die Liebe stört niemanden. Wenn ein junger Mensch was gegen Homosexuelle hat, dann ist es ja nicht die Liebe, die ihm Unbehagen bereitet, sondern der Sex, die Vorstellung enger körperlicher Intimität mit dem eigenen Geschlecht.

Und nun frage ich Sie: Wenn da ein Jugendlicher von schwulem Sex so verunsichert wird, dass er das typische Ventil verunsicherter Jugendlicher bedient und mit dummen Sprüchen Dampf ablässt – wie wird so ein Jugendlicher reagieren, wenn man ihm z.B. zwei küssende Männer vor die Nase hält und dazu sagt: „Respektiere das!“? Eben. Irrationale Ängste (wenn die überhaupt existieren) werden dadurch wohl kaum aufgelöst. Der Ansatz müsste ein ganz anderer sein. Nicht das, was die beiden auf dem Plakat tun, verdient Respekt, auch nicht ihre dahinterliegende Gefühlswelt. Aber die beiden Menschen selbst verdienen Respekt. Das wäre auch das, was ich gern meinen Kindern vermitteln würde: Es muss dir nicht sympathisch sein, was einer tut, was einer will oder wie jemand lebt – aber egal, was du dabei fühlst, du solltest ihm als Menschen deine Achtung nicht versagen. Ich denke auch, dass das den meisten Jugendlichen vermittelbar ist.


Diese Freiheit des Urteils in Kombination mit der Pflicht zum respektvollen Verhalten ist den meisten Aktivisten allerdings zu wenig. Darum werden die Jugendlichen eher von Tiefenpsychologie-Amateuren zu hören bekommen, warum sie schwulem Sex gegenüber nur auf eine einzige (zustimmend positive) Weise empfinden dürfen und alles andere schlecht ist. Und darauf werden sie reagieren, wie sie eben auf alles reagieren, was als verordnetes Denkmuster daherkommt, egal ob von den Eltern, Lehrern oder Sozialarbeitern: mit dummen Sprüchen. 3000 Plakate – ziemlich umsonst.

michael.prueller@diepresse.com diepresse.com/cultureclash

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.06.2009)

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