Verstörendes Beten

In England wollen die drei größten Kinoketten einen Werbespot für das Vaterunser nicht zeigen. Sie dürfen das, aber ihre Begründung ist gefährlich.

Zur anglikanischen Kirche von England gab es in der legendären Fernsehserie „Yes, Prime Minister“ folgenden Dialog: Sir Humphrey: „Die Queen ist aus der Church of England nicht wegzudenken.“ Premier Jim Hacker: „Und was ist mit Gott?“ Sir Humphrey (unübersetzbar): „I think he is what is called an optional extra.“

Diese also des religiösen Fanatismus höchst unverdächtige Kirche wollte in den britischen Kinos mit einem Werbespot auf ihre Website justpray.uk hinweisen: Unterschiedliche Menschen beten in einer Textcollage das Vaterunser. Die größte britische Kinowerbeorganisation, Digital Cinema Media (DCM), hat es abgelehnt, diesen Spot zu senden. Große Aufregung! Selbst der (echte) Premier, David Cameron, hat das kritisiert. Die DCM hat ihre Haltung so begründet: Bei Werbung, die mit persönlichen Überzeugungen zu tun hätte, bestünde „das Risiko, das Publikum zu verstören oder vor den Kopf zu stoßen“. Vor allem dann, wenn diese Überzeugungen sich auf Politik oder Religion bezögen.

Zensur ist das nicht. Und es ist gutes Recht privater Kinowerbegesellschaften, Werbung abzulehnen, die die Kundschaft verschreckt. Eine spannende Frage ist aber schon, warum das beim Vaterunser der Fall sein sollte. Sogar Kirchenfeind Richard Dawkins hat dazu gesagt: „Wenn jemand schon durch etwas so Triviales wie ein Gebet vor den Kopf gestoßen wird, dann verdient er das auch.“

Aber es war wohl gar nicht dieses konkrete Vaterunser, das abgelehnt wurde. Die DCM hat erklärt, dass „ein neutraler Standpunkt die fairste Politik für alle ist und der DCM erlaubt, alle politischen und religiösen Überzeugungen gleich zu behandeln.“ Daher werde jegliche religiöse oder politische Werbung abgelehnt.

Das ist aber nicht schlüssig. Weil es einzelne Religionen – oder einzelne Aspekte einzelner Religionen – gibt, die uns Sorgen machen, spart man Religion überhaupt aus? Neutral ist, Neonazis gleich wie Sozialdemokraten zu behandeln? Wenn Osama bin Laden nicht auftreten soll, lassen wir fairerweise auch Mutter Teresa nicht sprechen?

Der Grundsatz der Fairness ist, Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln. Ungleiches gleich zu behandeln, ist bloß denkfaul. Aber auch Staaten handeln bisweilen so. Wie Frankreich, als es, vom muslimischen Kopftuch erschreckt, den Lehrern jegliches religiöse Symbol verbot. Bevor man argumentieren muss, was konkret unzulässig ist und warum, macht man lieber auf neutral und verbietet alles. Aber das ist nicht neutral, sondern nur bequem – weil man nicht ehrlich sein muss. Man will niemandem wehtun, aber schadet damit allen.

Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

meinung@diepresse.com

diepresse.com/cultureclash

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.12.2015)

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