Reich im Reich der Mitte

In China gibt es eine Millionärsklasse, die nun schon sündteure Luft in Dosen kauft. Aber auch eine andere Geschichte von Reich und Arm, als sie hier gern erzählt wird.

Im „Daily Telegraph“ lese ich, dass der britische Unternehmer Leo de Watts mit Erfolg englische Landluft in Dosen nach China exportiert. Der „Telegraph“ hat meines Wissens keine Faschingsausgabe. Ich nehme daher die Meldung für wahr, zumal der kreative de Watts in Hongkong aufgewachsen ist. Außerdem verkauft ein Kanadier schon länger Sieben-Liter-Kanister mit Rocky-Mountain-Air zu 13 Euro nach China. Aber das ist Massenware, verglichen mit de Watts' Halbliterdosen „organischer“, handgeschöpfter Luft aus Dorset, Somerset oder Yorkshire zu 100 Euro pro Stück.

Illustrer, als nun über die Luftverschmutzung in Chinas Metropolen zu sinnieren, ist es, die chinesischen Millionäre in den Blick zu nehmen: die Zielgruppe solcher Luftgeschäfte. In keiner Region der Welt ist in den vergangenen Jahrzehnten die Zahl der Millionäre so gestiegen wie in China. Sie sind eine Begleiterscheinung der marktwirtschaftlichen Öffnung des Landes ab 1978, die zu einer starken Ungleichheit geführt hat.

Manche Ökonomen sagen, dass das reichste Prozent der Chinesen heute ein Drittel von Chinas Finanzvermögen besitzt. Das ist in einem Land beachtlich, in dem man vor zwei Generationen reich war, wenn man gleich zwei blaue Mao-Anzüge besaß. Aber: Die Reform, die die Superreichen hervorgebracht hat, hat auch 600 Millionen Menschen aus drückender Armut geholt und die größte Mittelklasse geschaffen, die es je gegeben hat. Selbst Professor Wikipedia stellt unwidersprochen fest, dass von Chinas Wirtschaftsentwicklung „buchstäblich jeder Haushalt substanziell profitiert hat“.

Während etwa viele russische Oligarchen ihr Vermögen errungen haben, indem sie sich Bodenschätze unter den Nagel gerissen haben, sind Chinas Millionäre hauptsächlich deswegen reich geworden, da sie Unternehmen gründen durften, die anderen Menschen qualifiziertere Arbeit und höhere Einkommen verschaffen. Das erklärt, warum Chinas Führung zwar mit der Ungleichheit zwischen Stadt und Land und zwischen verschiedenen Regionen ihre Sorgen hat, aber mit der Existenz einer neuen außerordentlich besitzenden Klasse ziemlich entspannt umgeht. Noch dazu als Kommunisten.

China ist ein schönes Beispiel dafür, dass die Reichen nicht prinzipiell auf Kosten der Armen reicher werden. In China wurden sie sehr reich, weil fast alle reicher wurden. Aber es könnte noch besser sein. Lernten sie noch, ihr Vermögen auch für die Allgemeinheit einzusetzen – wie es etwa in den USA typisch ist –, würde vielleicht die Luft wieder besser, und Leo de Watts Dosen wären nicht einmal mehr ein – eigentlich obszöner – Gag.

Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

meinung@diepresse.com

diepresse.com/cultureclash

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.02.2016)

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