Rechtsruck? Lassen wir die Aufgeregtheit

Die meisten Hofer-Wähler wollen ja gar nicht 70 Jahre zurück. Höchstens 50. Aber vielleicht gilt das heute auch schon als extrem rechts.

Markiert das Wahlergebnis vom vergangenen Sonntag wirklich einen unerwarteten Rechtsruck? Ausgelöst durch die Flüchtlingspolitik der Regierung? Dazu ist es reizvoll, das Ergebnis nicht nach Parteien, sondern nach Lagern zu betrachten: Sagen wir – etwas großzügig –, Irmgard Griss sei eine typische Bürgerliche und die Grünen seien im Grunde vegane Sozialdemokraten. Dann hat das Wahlergebnis so ausgesehen: Nationalpopulisten 35,3 Prozent, grüne Sozialdemokraten 32,2 Prozent, Bürgerliche 30,1 Prozent. Das liegt im Rahmen dessen, was uns seit zwei Jahren die Umfragen zur Nationalratswahl zeigen.

So gesehen ist sicher die geringe Mobilisierungskraft von ÖVP und SPÖ für ihre Hauskandidaten bemerkenswert. Aber eine tektonische Verschiebung der Lager ist das nicht. Zumindest keine, die nicht schon längst sichtbar gewesen wäre. Und zur Sache mit den Flüchtlingen: Offensichtlich haben die Wähler nicht so sehr gegen die Willkommenskultur gestimmt als für konsistente Parteien. Davon hat natürlich die immer glasklare FPÖ profitiert. Aber fast zwei Drittel haben sich der FPÖ und deren Anti-Flüchtlings-Polemik verweigert. Und unter ihnen wiederum hat nur eine Minderheit die Kandidaten der Regierungsparteien mit ihrer Kehrtwenden-Politik angekreuzt, zwei Drittel aber Van der Bellen oder Griss, die (auch mangels Gelegenheit) keine Flüchtlings-Pirouetten gedreht haben.

Ein Rechtsruck sähe anders aus. Auch dass die Stimmen für die FPÖ mehr werden, je tiefer das Bildungsniveau ist, ist nicht neu. Oder dass viel mehr Männer blau wählen als Frauen (was an Wahlsonntagen wohl manche unschöne Szene am ehelichen Frühstückstisch auslöst). Das ist nicht nur mit den Flüchtlingen zu erklären (fürchten sich Männer mehr vor ihnen?). Wichtiger ist zum einen wohl die Attraktivität einfacher Antworten in krisenhaften, komplexen Zeiten. Und zum anderen könnte es sein, dass immer mehr – gerade Männer – den Zeitgeist als unerträglich gewordene Gängelung empfinden, von der Political Correctness über die Conchita-Wurst-Verehrung, die Töchtersöhne und das Binnen-I bis hin zur verpflichtenden Sympathie für alles, was anders ist, einschließlich verschleierter Musliminnen. Nur die FPÖ bietet dem klar die Stirn.

Ist es womöglich so, dass die FPÖ-Erfolge unserer Zeit kein Rechtsruck sind, sondern bloß das Ende der 68er-Dominanz anzeigen und die Rückkehr in die Vor-68er-Bürgerlichkeit mit ihren zwar engen, aber klaren Verhältnissen und Ordnungen? Aber was, wenn genau das gemeint ist, wenn man heute von „extrem rechts“ spricht? Auch das würde vieles erklären.

Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

meinung@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.05.2016)

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