Grassierende Verblödung?

Die Behauptung, dass FPÖ-Wähler ungebildet seien, erklärt den Wahlerfolg Hofers nicht. Sie ist auch weniger eine Analyse als ein Teil des Problems.

Sind Hofer-Wähler deswegen Hofer-Wähler, weil sie dumm und ungebildet sind? Die Autorin Christine Nöstlinger etwa hat in einem Interview mit Radio Ö24 diesen Schluss gezogen. Die vielen Stimmen für den FPÖ-Kandidaten führe sie auf Denkfaulheit und einen Mangel an Bildung zurück. Man müsse sich nur anschauen, in welchen Wiener Bezirken die FPÖ am besten abgeschnitten habe – dort, wo die Leute am öftesten nur Pflichtschulabschluss hätten.

Tatsächlich gibt es eine Korrelation zwischen Bildungsniveau und der Neigung, Norbert Hofer zu wählen. Aber meine Frage an Nöstlinger wäre doch: Wenn sie das Wahlverhalten in Arbeiterbezirken so erklärt – sind dann auch die früheren SPÖ-Erfolge in denselben Bezirken auf Denkfaulheit und Bildungsmangel zurückzuführen? Oder verblöden die Menschen auf einmal radikal?

Mich erstaunt die Bereitschaft, mit der auch Menschen in einer starken humanistischen Tradition ein befremdliches Wahlverhalten der sogenannten kleinen Leute auf Persönlichkeitsmängel zurückführen. Dabei gibt es ganz rationale Gründe, warum gerade die Schwachen in unserer Gesellschaft, die in der Gestaltung ihrer Lebensumstände weniger frei und mehr auf andere angewiesen sind, gerade jene Parteien und Politiker bevorzugen, von denen sie sich am besten beschützt fühlen. Warum diejenigen, die sich in ihrem beruflichen Leben nicht auf der Siegerstraße erleben, wenigstens mit ihrer Wählerstimme einmal zu den Gewinnern gehören wollen. Das SP-Urgestein Nöstlinger sollte eigentlich fragen, was etwa mit der Beschützerrolle der SPÖ für die Arbeiter passiert ist.

Hier wird ein Grundproblem des Wohlfahrtsstaates manifest: Da er zwar ständig Wohltaten vergibt, aber nie in gleichem Maße an jede Gruppe, fühlt sich irgendwann fast jeder als Verlierer, als im Stich gelassen. In der Abwahl von Regierungsparteien können die frustrierten Wähler in der Regel ihren Unmut produktiv, wirkungsvoll und mit Befriedigung loswerden. Ist aber wie in Österreich die zur Regierungsarbeit zugelassene Parteienkombination als SPÖVP einzementiert, fällt dieser Reinigungs- und Erneuerungsmechanismus weg. Gerade den Kleinen, den Machtlosen, bleibt nichts anderes, als ihre Wahlstimme außerhalb dieses Systems zu platzieren, wenn sie sich noch irgendwie selbst spüren wollen.

Ich verstehe jedes Unbehagen über einen Triumph Hofers und der FPÖ. Erstaunlich ist er aber nicht. Gerade in der Arbeiterschaft, die sich aus ihrer alten politischen Heimat anhören muss, sie sei denkfaul und ungebildet. Ein trauriges Bild, das vieles deutlich macht.

Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

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(Print-Ausgabe, 15.05.2016)

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