Anti-Terror-Humbug

Merkels neun Punkte gegen den Terror sind Pfeifen im Wald. Aber wir sind nicht hilflos im Angesicht der Gewalt. Die Lösung liegt nur nicht dort, wo unsere Wut sie sucht.

Wehrlosigkeit, Hilflosigkeit, Zusehenmüssen: Diese Erfahrung enerviert. Ein Freund hat nach dem Mord am französischen Priester Jacques Hamel die fast verzweifelte Frage auf Facebook gestellt: Dürfen wir uns wehren? Moraltheologisch ist die Antwort einfach, aber wie könnte man sich wehren? Durch Repressalien an der muslimischen Zivilbevölkerung, aus der die Einzeltäter dieses Partisanenkriegs stammen?

Angela Merkel hat nun neun Punkte gegen den Terror präsentiert, die statt Entschlossenheit Hilflosigkeit vermitteln. Sie will verbesserte Geheimdienstzusammenarbeit. Aber wird die den Bürger entdecken, der demnächst mit dem Auto in die Menge rast? Sie will den Waffenhandel im unüberwachbaren Teil des Internets besser überwachen. Aber Messer und Äxte gibt es auch im Baumarkt. „Das Ende einer dröhnenden Sprachlosigkeit“, fordert Alexander Kissler im „Cicero“. Aber welche Rede bekäme den schwer fassbaren Terror führerloser Zellen und einsamer Wölfe in den Griff? Ein Ausdruck der Hilflosigkeit, wie das Klagelied: „Und wo bleibt der Aufschrei der Medien!“ Selbst wenn sie aufschreien könnten – was würde es ändern?

Was französische Medien jetzt tun, ist vielleicht wirksam. Sie zeigen ab nun keine Attentäter mehr. Die Terrorismusforschung weiß, dass ein Attentäter nicht nur eine Ideologie braucht, sondern auch ein gewaltauslösendes Moment. Und dass Nachahmung eine wichtige Rolle spielt. Das Kalkül des Terrors – und des IS, wenn er zu Attentaten in Europa aufruft – ist die Eskalation. Gewalt erzeugt Gegengewalt. Diese produziert mehr Attentäter. Anschläge in Europa sollen die Feindschaft der Europäer gegen den Islam verstärken, sodass mehr Muslime in Europa sich wehrlos und entrechtet fühlen – und zu Terroristen werden. Bis alles ex- oder implodiert.

Das funktioniert. Die Unduldsamkeit gegen alle Muslime – die zu mehr als 99 Prozent friedlich sind – wächst, auch gegen ganz friedliche Äußerungen islamischer Kultur. Gewonnen hat der IS, wenn es einmal so weit kommt, dass man von jedem der hier lebenden 56 Millionen Muslime verlangt, er müsse sich entweder für Europa oder für den Islam entscheiden. Wir sind nicht hilflos. Wir können der Ausbreitung des Terrors entgegentreten, indem wir uns am Spiel des IS – der Radikalisierung der Muslime via Ausgrenzung – nicht beteiligen, sondern die Integration fördern. Dazu muss man das dem Islam eigene Gewaltproblem nicht taktvoll verschweigen. Die Kunst wäre, es so zu thematisieren, dass es den Islam in Europa nicht niederbügelt, sondern reifen lässt.
Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

meinung@diepresse.com

diepresse.com/cultureclash

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.07.2016)

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