Kollaps in Wien

Am Beispiel des Vereins "Autofreie Stadt": Wer Überzeugungsarbeit mit Gängelung verwechselt, trägt dazu bei, dass die Populisten immer populärer werden.

Am Donnerstag kam es zur abendlichen Stoßzeit in der Wiener Innenstadt bis zum Gürtel zu einem Verkehrsstillstand. Der Zeitverlust betrug laut Verkehrsnachrichten gut eine Stunde. Der Grund war eine Demonstration, im wahrsten Sinn des Wortes. Der Verein „Autofreie Stadt“ wollte auf einem Abschnitt der Ringstraße etwas vorzeigen: dass Menschen weniger Platz brauchen als Autos. Und tatsächlich: Das stimmt! Wer hätte das gedacht? Allerdings haben Autos dafür den Vorteil, schneller ans Ziel zu kommen. Ob das die Organisatoren wissen?

Das Demonstrationsrecht ist heilig, und jeder darf es in Anspruch nehmen. Auch wenn man sich fragt, ob es unbedingt zur Hauptverkehrszeit auf einer Hauptverkehrsader sein muss. Auch die konstruktive Beschäftigung mit dem Konfliktfeld Lebensqualität/Verkehr ist wichtig. Aber was konkret war es wert, am Donnerstag Tausende für eine unnütze Stunde in ihrem Auto festzuhalten und die Schadstoffe von ein paar Tausend Litern Benzin und Diesel mutwillig dem respiratorischen System der Wiener zuzuführen? Wofür die Nervenbelastung der in ihren Autos Festsitzenden und jener, die sich schon auf sie gefreut, die auf sie gewartet haben?

Das Ziel war laut „Autofreie Stadt“, dass die Ringstraße an jedem Sonntag autofrei wird. Die Ringstraße. Jener Boulevard, der problemlos eine mehrspurige Fahrbahn, Straßenbahnschienen und Radwege unterbringt – und so viel breiten Gehsteig, dass es noch nie vorgekommen ist, dass Fußgänger dort zu wenig Platz gehabt hätten.

Klar, dahinter steht die größere Vision einer Stadt ohne Individualverkehr. Und bei einem Stadtfest könnte die Ringstraße ja wirklich eine nette Flaniermeile sein. Aber so viel Beschwernis für eine Vision, die kaum jemand hat? Oder ging es der „Autofreien Stadt“ vor allem darum, auf sich aufmerksam zu machen? Immerhin: Ihr Facebook-Auftritt hat rund um die Demo die Zahl der Fans von 1524 auf 1568 erhöhen können. Donnerwetter. Bei dem Tempo rückt schon in 100 Jahren ein Gemeinderatsmandat in Reichweite.

Das Ganze ist ein Musterbeispiel dafür, wie man Wutbürger in die Arme der Populisten treibt: Ideologen machen ihnen das Leben schwer, nur weil sie, die Bürger, Dinge tun (wie Auto fahren), die ganz normal, aber den paar Ideologen nicht gut genug sind. Wer die Vision einer besseren Welt hat, soll sich dafür auch einsetzen. Das ist gut. Aber wer übertreibt und statt Überzeugungsarbeit Gängelung betreibt, schadet seiner eigenen Sache. Oder glaubt jemand, dass so ein Verkehrskollaps unter dem Strich den Grünen (und ihren Kandidaten) Sympathiezuwachs bringt?


Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

meinung@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.09.2016)

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