Warum Trump gegen Clinton eine Premiere in der US-Geschichte darstellt. Und wir daran erkennen können, dass das ganze System wackelt.
Donald Trump ist der unbeliebteste Präsidentschaftskandidat Amerikas der letzten 60 Jahre. Hillary Clinton ist die zweitunbeliebteste. Das zeigen die Daten des Meinungsforschers Gallup: Von Trump haben 16 Prozent der US-Bürger eine sehr gute Meinung und 42 Prozent eine sehr schlechte. Bei Clinton sind es 22 zu 33. Von allen anderen Kandidaten dieser sechs Jahrzehnte wies sonst nur Barry Goldwater 1964 einen negativen Beliebtheitssaldo auf.
Die USA hat ein gut eingespieltes System, dem für seine Spitzenkandidaten ein Pool aus rund 200 Millionen Menschen zur Verfügung steht. Wie kann es sein, dass da – erstmals in der US-Geschichte – zwei Kandidaten übrig bleiben, die beide von der Bevölkerung mehr abgelehnt als geschätzt werden? Noch dazu, wo Trump von allen Bewerbern auch die niedrigsten Sympathiewerte in der eigenen Partei hat.
Zunächst liegt es wohl am System. In einem plebiszitären Verfahren wie den Vorwahlen ist Mobilisierungskraft wichtiger als Sympathie oder Qualität. Und das umso mehr, je größer der Frust ist. Und der ist groß. Seit der Wirtschaftskrise finden nur noch rund 15 Prozent der Amerikaner die Arbeit des Kongresses gut, in den Jahrzehnten davor waren es im Schnitt zwischen 33 und 36 Prozent. Seit zehn Jahren wünscht sich in den Umfragen eine Mehrheit eine dritte große Partei. Gleichzeitig war die Animosität zwischen den politischen Lagern noch nie so ausgeprägt wie heute. Und Negatives überwiegt. Laut Gallup ist auf beiden Seiten das häufigste Motiv, für den eigenen Kandidaten zu sein, der Gegenkandidat. Für die Parteienzugehörigkeit gilt dasselbe. Das spiegelt eine tiefe Spaltung innerhalb der Bevölkerung wider.
Die Krise der Marktwirtschaft bringt beide Parteien gehörig durcheinander. Aber auch die Abkehr von christlicher US-Kultur, etwa mit der Homoehe oder den Gendersensibilitäten auf Schule und Hochschulen. Bei den Republikanern sind, laut Pew Research Center, immer noch die Evangelikalen die größte Einzelgruppe. Bei den Demokraten sind das mittlerweile diejenigen, die keiner Religionsgemeinschaft angehören – der am schnellsten wachsende Teil des religiösen Spektrums der USA.
All das legt nahe, dass es sich hier nicht um einen bloßen Betriebsunfall handelt, sondern um tektonische Verschiebungen im Selbstverständnis der Amerikaner, die noch größere Folgen haben werden. Entscheidend für die Welt ist dabei, ob das, was das 150 Jahre alte Zweiparteiensystem ablösen wird, die Einheit der USA und damit ihre positive Energie wird erhalten können. Trump und Clinton können es sicher nicht.
Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.
(Print-Ausgabe, 09.10.2016)