Culture Clash

Nicht auf Augenhöhe

Die Jungen Grünen sind in Schwierigkeiten. Dabei hätten sie wissen müssen, was denn da das Parteiklima vergiftet: Glawischnigs Obfrauen-Titel. Ja, wirklich!

Jetzt werden also die Jungen Grünen aus der Partei ausgeschlossen. Schade um sie. Haben sie uns doch immer wieder überraschende Perspektiven eröffnet. Gerade erst haben sie sich etwa der Bildungsmisere gewidmet und mit bestürzender Scharfsicht das Kernproblem benannt: den Professorentitel. Dass Lehrer als Herr oder Frau Professor anzusprechen seien, widerspreche, so die Vorsitzende Flora Petrik, „dem demokratischen Grundgedanken, einander auf Augenhöhe zu begegnen“, treibe „einen Keil zwischen SchülerInnen und LehrerInnen“ und vergifte „das Lernklima“. Nun wollen sie ihre Petition „Titel abschaffen – Weg mit Herr und Frau Professor!“ in den Nationalrat bringen.

Das also hat unser Lernklima vergiftet! Hätte man das nur schon zu meiner Schulzeit gewusst – wie keillos wären wir einander auf Augenhöhe begegnet: Manchmal hätten wir Lehrer ins Klassenbuch eingetragen, an ungeraden Tagen unsere Beistrichsetzung zur Norm gemacht, und gelegentlich wäre auch ein Lehrer durchgefallen. Nur weil keiner mehr „Professor“ geheißen hätte. So eine Schule hätte auf das Leben vorbereitet, wo der Verzicht auf Titel jedes Klima entgiftet. Und wo es wohl der dem demokratischen Grundgedanken widersprechende Obfrauen-Titel von Eva Glawischnig war, der einen Keil zwischen junge und alte Grüne getrieben hat. Oder war das schon Professor (!) Van der Bellen?

Aber im Ernst: Die grünen Jungen sind durchwegs so erwachsen, dass sie nicht nur wählen und kandidieren und Auto fahren, sondern sogar rauchen dürfen. Dass das Titelabschaffen ihr zentraler Beitrag zur Bildungspolitik ist, weckt Verständnis für die Kindesweglegung der Mutterpartei. Dabei ist ihre Denke aber auch den Älteren nicht ganz fremd: die Welt als einen Ort multipler Unterdrückung zu sehen, in der jegliche Herrschaft mittels Umsprachung aufzulösen ist.

Als Mao allen weismachen wollte, dass das Verschweigen von Dienstgraden ein demokratisches Militär hervorbrächte, war er wohl nur Zyniker. Aber viele glauben wirklich daran: dass Behinderte nicht mehr behindert sind, wenn es „besonderes Bedürfnis“ heißt. Dass die Welt die Roma respektiert, wenn sie sie nicht mehr „Zigeuner“ nennt. Dass die Mädchen endlich an die Trommeln dürfen, wenn man von Schlagzeugenden statt von Schlagzeugern redet. Oder dass die Schüler frei werden, wenn sie zum Prof nur mehr „Herr Lehrer“ sagen.

Die Welt besser machen zu wollen, imponiert mir. Der Zugang aber weniger – der aus der geschützten Werkstatt der Intellektuellen kommt, wo es außer Wörtern halt nicht viel gibt.

Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

meinung@diepresse.com

diepresse.com/cultureclash

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.04.2017)

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