Böse Statistik

Wenn Schwangerschafts- abbrüche sehr belastende Erfahrungen sind, warum darf man dazu keine statistischen Daten sammeln, um besser helfen zu können?

Es ist faszinierend zu sehen, wie viel Aufregung ein scheinbar harmloses Vorbringen auslösen kann. VP-Familienstaatssekretärin Christine Marek hat Anfang der Woche eine bundesweite Statistik über Abtreibungen und ihre Gründe verlangt und damit bei SPÖ, Grünen und der Abtreibungsbranche scharfe Ablehnung erfahren: Nichts da – genaue Zahlen, valide Motivinformationen darf es nicht geben.

Natürlich wird die Forderung nach einer solchen Statistik auch deswegen von Gegnern der Fristenlösung erhoben, um die ganze Sache im Gespräch zu halten. Sie ist daher nicht ganz so politisch harmlos, wie sie auf den ersten Blick scheint. Auffällig ist aber, wie sehr die Gegner einer Statistik in ihren Ablehnungsstatements eigentlich gute Gründe für dieselbe aus Tapet bringen.

Eine Befragung würde Frauen, „die es sich schon schwer genug machen“ (Gesundheitsminister Stöger, SPÖ), bzw. „Frauen in einer Krisensituation“ (Monika Vana, Frauensprecherin der Grünen Wien) oder „Frauen in einer Notsituation“ (SP-Frauensprecherin Gisela Wurm) nur noch mehr belasten. Wenn aber eine Abtreibung, medizinisch ein unaufregender Routineeingriff, also doch eine belastende Entscheidung in einer belastenden Situation ist, wäre das eigentlich umso mehr ein Grund, ihr auf den Grund zu gehen, um Frauen diese Notsituationen ersparen zu helfen.

Dass das Gesundheitsministerium dazu sagt, es würde nicht auf Statistiken setzen, sondern auf Prävention, ist nicht einmal rhetorisch ein guter Einfall. Wie will man Situationen vermeiden helfen, deren Auslöser man höchstens anekdotisch kennt – und wie will man den Mitteleinsatz dafür planen, wenn die Dimension mangels Statistik unbekannt ist?


Ermüdend ist auch das Mantra von der fehlenden Aufklärung und den mangelnden Verhütungsmitteln, das in solchen Fällen geradezu rituell aufgesagt wird. Mittlerweile ist schon die zweite Generation Österreicherinnen im gebärfähigen Alter, die in der Schule obligaten Aufklärungsunterricht hatte. Kondome finden sich heute an jeder Supermarktkassa. Einzelne Angaben aus Abtreibungskliniken deuten außerdem daraufhin, dass der typische Fall nicht der ahnungslose Teenager ist, sondern Frauen über 30. Wie soll man denen noch Aufklärung zuteil werden lassen? Freilich ist nicht sicher, ob diese Angaben stimmen, denn es gibt ja keine verlässlichen Statistiken dazu. Darf es ja auch offenbar nicht.

„Strafen ist keine Lösung“, heißt es in diesem Zusammenhang oft. Aber ist Nichtfragen, Nichtwissen und Nicht-darüber-reden-Dürfen denn eine Lösung? Was genau ist eigentlich der wunde Punkt, der Abtreibung zu einem Tabu macht, dem man sich nicht einmal statistisch nähern darf? Dazu eine Untersuchung wäre auch einmal interessant.

michael.prueller@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.11.2009)

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