Glaubensfrage

Hechelnd in die letzte Woche

Noch eine Woche also. Religion spielt oft eine Rolle in Wahlkämpfen – genauer: der Islam. Wie diesmal trotzdem Neuland betreten wurde.

Religion ist Privatsache. Falsch. Religion ist Wahlkampfsache. Jedenfalls ist sie nicht gerade unbedeutender Teil des Wahlkampfes, der hechelnd in die letzte Woche schrammt. Manche mögen aufatmen. In einer Woche ist alles vorbei. Gemeint ist nicht die Karriere irgendeines Politikers, gemeint ist der Wahlkampf. Dieser stellte mit all seinen Diskussionen, Deklarationen und Denunziationen besonders zuletzt einen Quell endlicher Begeisterung dar.

Religion ist also Teil des Wahlkampfes. Ja. Nur muss man exakt sein. Eigentlich ist es genau eine Religion, der Islam nämlich (an dieser Stelle ein, es sei erlaubt, dezenter Buchtipp: „Gehört der Islam zu Österreich?“, erschienen im Molden Verlag). Dieses Faktum allein ist wirklich nicht neu. „Daham statt Islam“ oder „Pummerin statt Muezzin“ kalauerte die FPÖ ohne Rücksichtnahmen auf Wahlplakaten. Mehr als zehn Jahre sind vergangen. „Die Islamisierung gehört gestoppt“ lautet heute der vorsichtigere, in der Sache eindeutige Slogan neben dem Bildnis des auf Spitzenkandidat dauerabonnierten Heinz-Christian Strache. Wir wurden aber in diesem Wahlkampf Zeugen eines neuen Phänomens.

Erstmals hat auch eine andere Partei den Islam als Topos identifiziert – und als Möglichkeit, damit Stimmung und Stimmen zu machen: Die ÖVP hat sich des Themas bemächtigt. Neo-Star Sebastian Kurz nützte zumindest in der Prä-Silberstein-Skandal-Phase des Wahlkampfes fast jede Wortmeldung, um Richtung islamische Kindergärten, Parallelgesellschaft, Burkaverbot, integrationsfeindliche Moscheenvereine etc. abzubiegen.

Werden Christen, die in der Subgruppe der regelmäßigen Kirchgänger bei Wahlen eine beachtlich hohe ÖVP-Affinität aufweisen, nun tatsächlich politisch heimatlos, wie das Österreichs Peter Filzmaier der Theologie, Paul Michael Zulehner, behauptet hat? Das muss nicht notwendigerweise so sein. Besonders jene politisch prononciert rechts stehenden Katholiken – manche scheuen nicht davor zurück, Papst Franziskus als Kryptokommunisten zu denunzieren – projizieren in Sebastian Kurz hohe Heilserwartungen. Da kann er fast nur scheitern. Zwischen dem Hosanna und einem Crucifige liegt oft ein kurzer Weg. Für manch andere Christen, die sich beispielsweise in der Flüchtlingshilfe engagieren, mögen Aussagen über Ausländer generell und Flüchtlinge speziell schwer verdauliche Kost sein. Da kann Sebastian Kurz noch so oft bei Messen, Fronleichnamsumzug oder bei Kardinal Christoph Schönborn gesichtet werden.

Möglich also, dass manche Christen meinen, sie seien politisch heimatlos (geworden). Das wäre so unpassend nun auch wieder nicht. Sehen sich Christen nicht generell als heimatlos auf dieser Erde, theologisch betrachtet? Das zumindest müsste Professore Zulehner dann wirklich besser wissen.

dietmar.neuwirth@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.10.2017)

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