Die tiefe Skepsis gegenüber Obamas Gesundheitsreform

Obama
Obama(c) Reuters (JASON REED)
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Bereits über vierzig Mal haben die Republikaner versucht, Barack Obamas Gesundheitsreform – den einzigen politischen Erfolg seiner bisherigen Amtszeit – zu kippen.

Bei der gegenwärtigen Auseinandersetzung um die teilweise Schließung der Regierung (Shutdown) sind zwei Dinge miteinander verknüpft: Vordergründig geht es zwar um Haushaltsfragen und die Finanzierung der Regierung, eigentlich ist dies jedoch eine Auseinandersetzung um die umstrittene Gesundheitsreform. Die Verknüpfung beider Elemente hat jetzt zur Blockade geführt. Eine schnelle Einigung ist nicht in Sicht.

Sollte die Auseinandersetzung mit der anstehenden Erhöhung der Schuldenobergrenze verknüpft und eine Zahlungsunfähigkeit riskiert werden, drohen unkalkulierbare Auswirkungen auf die nationale und globale Wirtschaftsentwicklung. Derzeit ist davon auszugehen, dass zwar Teile der Regierung noch eine Weile geschlossen blieben, eine Zahlungsunfähigkeit jedoch letztlich nicht riskiert werden wird.

Wie kam es zur gegenwärtigen Krise? Da es bis zum Beginn des neuen Haushaltsjahres am 1. Oktober 2013 keine Einigung über den Haushalt gab, hätte die Arbeit der Regierung durch eine sogenannte „continuing resolution“, d. h. eine Art begrenzte Ermächtigung, zumindest auf dem gegenwärtigen Niveau finanziell abgesichert werden müssen. Auch diese Notlösung kam nicht zustande. Daraufhin musste die Regierung auf die essenziellen Funktionen beschränkt werden. Etwa ein Drittel, d. h. ca. 800.000 der knapp 2,9 Millionen öffentlich Bediensteten, bleiben zu Hause – und zwar so lange, bis sich Senat und Repräsentantenhaus auf ein neues Gesetz zur Finanzierung der Regierung einigen können. Eine solche Situation hat es mehrfach in der jüngeren Geschichte der USA gegeben.

Die Republikaner haben die Verabschiedung des Gesetzes zur Finanzierung der Regierung nun an die Bedingung verknüpft, Teile der Gesundheitsreform auszusetzen. Bisher waren über vierzig Versuche der Republikaner gescheitert, die Reform zu kippen. Jetzt sahen sie den Haushaltsstreit als letzte Gelegenheit, die Reform zu blockieren. Offiziell tritt sie zum 1. Jänner 2014 in Kraft. Die Gesundheitsreform stellt zugleich den einzigen politischen Erfolg in der bisherigen Amtszeit Präsident Obamas dar. Dafür hat Obama nicht die ursprünglich von den Republikanern angebotene Unterstützung gesucht, sondern die Reform gegen die Republikaner durchgesetzt. Seitdem nahmen die Republikaner eine Blockadehaltung ein.

Ausdruck des Wählerwillens. Viele Republikaner waren bei den Wahlen 2010 und 2012 in den Kongress mit der Unterstützung von Tea-Party-nahen Wählern gekommen, welche vor allem der Gesundheitsreform äußerst kritisch gegenüberstehen. Eine für alle verbindliche, von der Regierung mandatierte Pflicht zu einer Krankenversicherung wird von ihnen als Ausdruck einer ausufernden und sich zu weit in das private Leben einmischenden Regierung betrachtet. Die Gesundheitsreform zu blockieren war und ist deshalb das erklärte politische Ziel dieser Republikaner. Sie sehen ihre kompromisslose Haltung als Ausdruck des Wählerwillens. Selbst die teilweise Schließung der Regierung wird von vielen ihrer Wähler nicht als Problem gesehen.

Zwar sind bei Umfragen Mehrheiten in der Bevölkerung dagegen, für eine Zurücknahme der Gesundheitsreform die Schließung der Regierung zu riskieren. Die breite Skepsis über die Gesundheitsreform bleibt jedoch bestehen: Nach einer Pew-Umfrage vom 16. September 2013 waren 42 Prozent für die Gesundheitsreform, 53 Prozent dagegen. Große Gewerkschaften wie die AFL-CIO unterstützen zwar grundsätzlich die Gesundheitsreform, sehen die einzelnen Regeln jedoch sehr kritisch, da sie Arbeitnehmer zusätzlich belasten. Schon vor der anstehenden Umsetzung der Gesundheitsreform wurde klar, dass das Gesetz nachgebessert werden muss.

So hatte Präsident Obama vor Kurzem bereits Teile des Gesetzespakets per Verordnung ausgesetzt und damit Probleme der Reform anerkannt. Unternehmen mit mehr als 50 Mitarbeitern sollten z. B. bis zum 1. Jänner 2015 einen Aufschub erhalten. Damit wollte Obama eine übermäßige Belastung der Wirtschaft verhindern und Zeit für die Erarbeitung neuer Regelungen schaffen. Gleichzeitig wurden damit die zusätzlichen Belastungen für die Unternehmen aus der politischen Diskussion vor den Zwischenwahlen im November 2014 herausgehalten. Die Republikaner sahen in diesem Aufschub für Unternehmen eine Ungleichbehandlung und Nachteile für individuelle Versicherungsnehmer.

Sie forderten deshalb, die Umsetzung der Reform auch bei Individuen auszusetzen, bis Regelungen getroffen werden, welche finanzielle Belastungen begrenzen. Politisch wollten sie damit allerdings eine generelle Verzögerung bei der Umsetzung der Gesundheitsreform erreichen.

Das vom Repräsentantenhaus eingebrachte Gesetz, das eine Verknüpfung von Regierungsfinanzierung und Gesundheitsreform vorsieht, wurde jedoch wiederum vom demokratisch bestimmten Senat abgelehnt und es wurde gefordert, ein Gesetz allein zur Finanzierung der Regierung einzubringen. Seitdem gehen die Gesetzesvorschläge zwischen dem republikanisch dominierten Repräsentantenhaus und dem demokratischen Senat hin und her, ohne dass eine Einigung absehbar wäre.

Derzeit sieht es also nicht nach einer schnellen Lösung aus. Erst wenn das republikanische Repräsentantenhaus ein „reines“ Gesetz allein zur Finanzierung der Regierung einbringt, würden sich die Demokraten auf Diskussionen über die Gesundheitsreform einlassen – wenn die Republikaner also de facto alle Druckmittel aus der Hand gegeben haben. Auf Angebote der Republikaner, zumindest Teile der Regierung für einige Wochen weiter zu finanzieren und damit Zeit zu gewinnen, lassen sich die Demokraten ebenso wenig ein.

Das Kalkül der Demokraten ist, dass der Shutdown in der öffentlichen Meinung den Republikanern angelastet wird. Dieser Effekt verstärkt sich, je länger die Blockade anhält. Die Demokraten haben deshalb kein Interesse an einer schnellen Einigung. Dazu kommt, dass bald eine Einigung über die Ausweitung der Schuldengrenze erzielt werden muss. Das Finanzministerium geht davon aus, dass am 17.Oktober 2013 die gesetzlich festgelegte Schuldengrenze von 16,7 Billionen US-Dollar erreicht wird. Sollte bis dahin vom Kongress keine Ausweitung der Schuldengrenze beschlossen werden, droht die Zahlungsunfähigkeit.

Unabsehbare Folgen. Die Demokraten wollen offenbar den wachsenden öffentlichen Druck auf die Republikaner und das Risiko der Zahlungsunfähigkeit nutzen, um eine Einigung zu ihren Konditionen zu erzielen. Das Risiko einer teilweisen Schließung der Regierung gilt als weitaus weniger problematisch als eine Zahlungsunfähigkeit des Staates mit potenziell gravierenden nationalen und globalen Auswirkungen. Bisher gab es mehrfach die teilweise Schließung der Regierung, nie jedoch den Fall der Zahlungsunfähigkeit.

Die Folgen gelten als unabsehbar. Früher hat es deshalb immer in letzter Minute eine Einigung über die Ausweitung der Schuldengrenze gegeben, zuletzt im August 2011. Schon die Nähe der Zahlungsunfähigkeit hat damals jedoch eine Herabstufung der Kreditwürdigkeit amerikanischer Staatspapiere mit sich gebracht. Es ist davon auszugehen, dass der Streit um die Finanzierung der Regierung noch mindestens bis in die kommende Woche anhält, die Zahlungsunfähigkeit von allen Beteiligten schlussendlich jedoch nicht wirklich riskiert wird. Präsident Obama hat zudem administrative Möglichkeiten, die Zahlungsunfähigkeit letztlich zu verhindern.

Der republikanische Sprecher des Repräsentantenhauses, John Boehner, befindet sich in einem Dilemma. Bislang galt auch für ihn die informelle Hastert-Regel, wonach kein Gesetz von einem republikanischen Sprecher zur Abstimmung gebracht wird, welches nicht von einer Mehrheit der Mehrheit im Haus getragen wird. Damit wird verhindert, dass Gesetze gegen eine Mehrheit der Republikaner mit Stimmen der Demokraten verabschiedet werden. Gleichzeitig sichert sich der Sprecher damit sein Amt.

Sprecher Boehner wäre theoretisch in der Lage, ein Gesetz einzubringen, welches die Mehrheit des Repräsentantenhauses unterstützen würde, aber nicht die Mehrheit der Republikaner. Damit wäre aber wohl auch das Ende seiner Amtszeit verbunden. Insofern ist er Gefangener des kompromisslosen Teils der Republikaner. Boehner hat angekündigt, dass er zumindest die Zahlungsunfähigkeit verhindern möchte. Das würde de facto bedeuten, dass er bereit wäre, die Hastert-Regel aufzugeben und damit sein eigenes Schicksal zur Disposition zu stellen.

Inhaltlich können Republikaner und Demokraten letztlich jedoch nur zueinander finden, wenn es gelingt, eine für beide Seiten gesichtswahrende Lösung zu finden. Kompromisse, die jetzt eingegangen werden, verursachen politische Kosten bei der anstehenden Zwischenwahl im kommenden Jahr. Dies bestimmt wesentlich das Kalkül auf beiden Seiten.

Nicht nur Republikaner und Demokraten im Kongress werden für die Lage verantwortlich gemacht. Auch der Präsident steht in der Kritik. Beobachter werfen ihm vor, dass er sich seit Beginn seiner Amtszeit zu sehr aus dem politischen Spiel herausgehalten habe. Obama habe sich zu wenig darum bemüht, gute Beziehungen zum Kongress aufzubauen. Vor allem in Krisen fehlt dem Präsidenten dann der notwendige Einfluss, um Lösungen zu erzielen. Viele ihm wichtige politische Initiativen und Projekte, wie etwa die Immigrationsreform oder ein neues Waffenrecht, konnte er bisher auch deshalb nicht durchsetzen.

Der Autor Lars Hänsel,
Jahrgang 1967, ist der Leiter des Auslandsbüros USA der Konrad-Adenauer-Stiftung. Für die Stiftung war der Theologe zuvor in Bonn, Berlin und Jerusalem tätig.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.10.2013)

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