Es lebe der Geschlechtsunterschied!

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Mit jedem Schritt der Gleichstellungspolitik entfernen wir uns weiter vom gesunden Menschenverstand, der einem sagt, was "gut genug" ist. Eine Breitseite gegen den "radikalen Feminismus".

Wohl noch niemals in der Geschichte der Menschheit war das Verhältnis der Geschlechter so vergiftet wie heute. Das mächtigste Tabu unserer Gesellschaft liegt über dem Geschlechtsunterschied. Wer daran festhält, dass es wesentliche Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt, und sich deshalb kritisch zu militanten Formen des Feminismus äußert, gerät rasch an den Medienpranger. Ich mache deshalb einen Vorschlag zur Güte: Wir wollen im Folgenden zwischen dem aufgeklärten und dem fanatischen Feminismus unterscheiden. Der aufgeklärte Feminismus gehört in die stolze Geschichte des europäischen Fortschritts im Bewusstsein der Freiheit. Der fanatische Feminismus wird hingegen nur aufgrund seiner massenweisen Verbreitung in den Medien und Universitäten als neue Form von Intelligenz gefeiert.

Der Radikalfeminismus ist ein Ableger des Marxismus. Seine Gründungsurkunde ist die berühmte Schrift von Friedrich Engels über den Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates. Dort heißt es in aller wünschenswerten Klarheit: Die erste Vorbedingung der Befreiung der Frau ist die „Wiedereinführung des ganzen weiblichen Geschlechts in die öffentliche Industrie“ und damit die Abschaffung der klassischen Familie. Die radikalen Feministinnen haben das nachgebetet: Nur die Zerstörung von Ehe und Familie kann die Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen aufheben. Die Familie ist nichts als die Fessel, die Frauen von der Erwerbstätigkeit abhält, und die Ehe ist nichts anderes als Prostitution und Vergewaltigung.

Früher haben die männlichen Linken den Arbeitern eingeredet, dass sie unterdrückt sind; heute reden die weiblichen Linken den Müttern und Hausfrauen ein, dass sie unterdrückt sind. Buchstäblich geht es um eine Enthauptung der Familie, sofern nämlich der Vater traditionell als Oberhaupt der Familie verstanden wurde. Aber es geht auch um die Durchsetzung des androgynen Ideals – die Geschlechterrollen sind austauschbar.

Unisex, die Zwangsjacke der Emanzipation, hat sich von einer Modeströmung zur Regierungspolitik gemausert. Männer sollen „fürsorglich“ werden und im Haushalt mitarbeiten; Frauen sollen das Sexualverhalten der Männer imitieren und ihren Mutterinstinkt verdrängen. Männer sollen für die Kinder sorgen, die die emanzipierten Frauen – kaum mehr – gebären. Mit einem Wort: Männer werden von der politischen Korrektheit auf weich und sensibel, Frauen auf kalt und berechnend programmiert.

Der Geist der Demokratie verführt dazu, Gleichberechtigung mit Gleichartigkeit zu verwechseln. Dass es nicht mehr Herr und Knecht geben soll, wird dann so überinterpretiert, dass es auch keinen Unterschied zwischen Vater und Sohn oder zwischen Mann und Frau mehr geben soll. Alle Absurditäten des fanatischen Feminismus rühren also daher, dass einige Akademikerinnen nicht in der Lage sind, zwischen Gleichberechtigung und Gleichheit zu unterscheiden.

Mann und Frau sind politisch gleich. Das gilt für die Wählerstimmen genauso wie für die Führungspositionen der westlichen Welt. Mann und Frau sind aber biologisch ungleich. Der Geschlechtsunterschied ist ein Unterschied, der einen Unterschied macht. Jede Politik, die hier auf Gleichheit statt auf Differenz setzt, ist monströs und lächerlich: Frauen im Kampfeinsatz an der Front; Männer, die Kinder gebären.

Geschlechtsflucht. Mitte des 19. Jahrhunderts gab es noch einen aufgeklärten Feminismus, der Männer und Frauen gleichen Wert gab und der Emanzipation der Frau in Moral, Politik und Wissenschaft nur eine Grenze zog: nur das nicht zu tun, was die Weiblichkeit beschädigt. Die Frau ist nicht minderwertig, sondern anders. Deshalb darf Gleichberechtigung nicht heißen, Frauen wie Männer zu behandeln. Dass Frauen alles auch können, was Männer können, ist ein Wahn, der in der Umkehrung noch deutlicher wird: wenn Männer versuchen, was nur Frauen können, z.B. Kinder bekommen.

Früher lebten Männer und Frauen zusammen – aber nach unterschiedlichen Regeln. Heute gelten für Männer und Frauen dieselben Regeln – aber sie leben nebeneinander her wie Parallelen, die sich eben nicht kreuzen. Männer und Frauen leben das gleiche Leben. Doch das gleiche Leben von Mann und Frau versöhnt nicht, sondern verbittert. Dem latenten Kriegszustand zwischen den Geschlechtern versuchen sich immer mehr Menschen dadurch zu entziehen, dass sie die Identifikation mit ihrer Geschlechterrolle verweigern. Frauen wollen nicht mehr Frauen und Männer nicht mehr Männer sein. Man könnte das Geschlechtsflucht nennen.

Der fanatische Feminismus akzeptiert die Unterscheidung von Mann und Frau eigentlich nur noch, um statistisch erfassbare Benachteiligungen zu markieren. Ansonsten setzt man auf Ununterscheidbarkeit. So verschärft sich die feministische Ideologie durch fortschreitende Gedankenlosigkeit. Erst war man gegen die Ungleichheit in der Unterscheidung von Mann und Frau; dann wollte man, dass die Unterscheidung nicht unterscheidet; und schließlich unterstellt man Ununterscheidbarkeit.

Im Bereich des Geschlechterverhältnisses trägt die politische Korrektheit den monströsen Namen „Gender Mainstreaming“. Das ist die regierungsoffizielle Politik der fortschrittlichen westlichen Länder, die das biologische Geschlecht von der sozialen Geschlechtsrolle abkoppeln möchte. Gender hat demnach nichts mit Sex zu tun und kann im Grunde frei gewählt oder neu zugewiesen werden. In den Universitäten wird diese politische Philosophie durch „Gender Studies“ verbreitet. Für sie scheint charakteristisch, dass das Engagement in der Frauenbewegung zum entscheidenden Qualifikationskriterium für die Frauenforschung erhoben wird.

Der fanatische Feminismus zielt heute weder auf Freiheit noch auf Chancengleichheit, sondern auf Ergebnisgleichheit. Alle starren auf die Zahlen bei der Besetzung von Führungspositionen. Wie hoch ist der Anteil weiblicher Professoren an den Universitäten? Wie viele Unternehmen werden von Frauen geführt? Nie geht es um konkrete Frauen und die Anerkennung ihrer Leistung, sondern immer nur um die Gruppe und ihre „Quote“. Die fanatischen Feministen heute wollen Gleichheit statt Freiheit, und zwar Ergebnisgleichheit statt Chancengleichheit. Und zwar wollen sie Ergebnisgleichheit nicht für die einzelnen Frauen, sondern für die „Gruppe“ der Frauen als ganze – statistisch messbar an der Zahl von Frauen in bestimmten hoch bezahlten Berufen und Spitzenpositionen.

Die politischen Parteien verkünden unisono eine nahe Zukunft, in der Kinder und Karriere vereinbar sind. Das ist die Lebenslüge der Gleichstellungspolitik. Jeder, der sich im realen Leben ein wenig auskennt, weiß, dass Spitzenpositionen in der Wirtschaft das totale Engagement erfordern. 80-Stunden-Wochen sind keine Seltenheit. Eine Geschäftsführerin kann sich keine Elternzeit nehmen. Und eine Spitzenpolitikerin auch nicht. Deshalb haben extrem erfolgreiche Frauen keine Kinder.

Die stärkste Unterstützung finden die Feministinnen heute bei den Ökonomen, die Frauen als brachliegende wirtschaftliche Ressource betrachten: Man könne der Volkswirtschaft die Arbeitskraft gut ausgebildeter Frauen nicht länger vorenthalten. Deshalb hilft man der Wirklichkeit mit einer Frauenquote auf die Sprünge. Damit aber wird die berechtigte Kritik von Diskriminierung ad absurdum geführt. Früher gab es Menschen, deren individuelle Leistung aufgrund einer bestimmten Gruppenzugehörigkeit nicht anerkannt wurde. Heute werden Menschen aufgrund einer bestimmten Gruppenzugehörigkeit gefördert, und zwar unabhängig von ihrer individuellen Leistung. Also hat sich nur das Vorzeichen der Diskriminierung gewandelt. Früher hat man Frauen diskriminiert, so gut ihre Leistungen auch waren. Heute werden Frauen gefördert, so schlecht ihre Leistungen auch sein mögen.

Die Forderung nach Quoten zielt auf eine Vorabzuschreibung wertvoller Stellen an Gruppenmitglieder. Auch wenn sie politisch nicht erfüllt wird, kann man die Quotenforderung als Warnung verstehen, dass die politisch Korrekten nicht bereit sind, das Ergebnis eines individuellen Wettstreits um begrenzte Chancen hinzunehmen. Denn jeder Wettbewerb um knappe Positionen ist ein Kampf um Vorrang. Das heißt aber: Es entsteht immer eine Nachfrage nach Ungleichheit. Man muss Männer benachteiligen, wenn man Frauen „nach vorne“ bringen will.

Wundmale der Diskriminierung. Seit der vorsorgende Sozialstaat nicht mehr zwischen Wohltaten und Anrechten unterscheidet, können wir eine neue Spaltung der Gesellschaft durch die Ansprüche von Gruppen beobachten, die es gelernt haben, sich als Opfer dieser Gesellschaft zu präsentieren. Früher war die Leistung Grundlage der Wertschätzung, heute ist es die Benachteiligung. Im Kampf um Status ist der ausschlaggebende Faktor der, dass man Wundmale der Diskriminierung vorzeigen kann. Aber man kann die Diskriminierungen der Vergangenheit nicht wiedergutmachen. Schon gar nicht durch Diskriminierung und öffentliche Bußrituale der Männer. Mit jedem Schritt der Gleichstellungspolitik entfernen wir uns weiter vom gesunden Menschenverstand, der einem sagt, was „gut genug“ ist. Die eigentlichen Opfer der Frauenquote sind die Frauen.

Norbert Bolz
Die „Zeit“ nannte ihn „einen der bekanntesten Geisteswissenschaftler deutscher Sprache“. Der promovierte Philosoph ist Professor für Medienwissenschaft an der TU Berlin. Der „Dandy der Medientheorie“ („Zeit“), beliebte Talkshowgast und Gastautor von F.A.Z. bis taz widmet sich mit Leidenschaft dem Ankämpfen gegen Denk- und Sprech-Tabus der politisch korrekten Medienwelt. Seine Gegner werfen ihm vor, bloß Ressentiments wissenschaftlich zu verbrämen. Zu seinen bekanntesten Büchern gehören „Das konsumistische Manifest“ (2002), „Diskurs über die Ungleichheit – Ein Anti-Rousseau“ (2009) und zuletzt „Die ungeliebte Freiheit“ (2010).
Bolz

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.03.2011)

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