Raus aus dem Euro, rein in den Nordeuro!

Raus Euro rein Nordeuro
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Eine Transferunion nach dem Motto "Koste es (Deutschland und Österreich), was es wolle" würde geradewegs in die organisierte Verantwortungslosigkeit führen.

Nun musste schon wieder der Euro gerettet werden. Wie wäre es, wenn die Retter sich einmal mit den drei ganz unterschiedlichen Problemen befassen würden, die sich zur „Eurokrise“ verknotet haben?

Erstens stehen als Langzeitfolge der Finanzkrise viele Banken noch immer auf wackligen Füßen. Wir haben also eine Bankenkrise. Zweitens sind einige Euroländer tatsächlich massiv überschuldet. Wir haben in der Tat auch eine Staatsschuldenkrise. Drittens trägt der Euro selbst ein gerüttelt Maß an Schuld zur gegenwärtigen Misere bei. Dass wir auch eine Eurokrise haben, versucht die politische Klasse unter dem Deckel zu halten. So hätte sich weder Griechenland ohne niedrige Eurozinsen so hoch verschulden können, noch wäre in Spanien eine derartige Immobilienblase entstanden. Auch nahm der Euro den Ländern im Süden die Möglichkeit, durch Abwertungen wettbewerbsfähig zu bleiben. Vor allem aber hat sich der Euro zu einer riesigen Ansteckungsmaschine entwickelt. Wenn früher Griechenland eine Erkältung hatte, hätte Österreich niemals gehustet. Wenn die Ratingagenturen jetzt unsere Bonität infrage stellen, dann nicht wegen unserer Schuldenpolitik, sondern weil sie davon ausgehen, dass wir in Zukunft für die Schulden von Frankreich, Italien und anderen mithaften! Wenn deutsche Politiker sich als Vertreter des größten potenziellen Gläubigers in Fragen der Privatisierungen in Griechenland, von Sparpaketen in Portugal oder der Urlaubsansprüche der Spanier einmischen, ist das auch eine Folge des Euro!


Verhasstes Deutschland. Und dass die Studenten in Athen, die Streikenden in Lissabon und die „Empörten“ in Madrid gegen die von ihnen als anmaßend empfundenen Ratschläge aus Deutschland protestieren, ebenso. Der Euro bewirkt nun das Gegenteil von dem, was wir uns einmal von ihm erhofften: Er spaltet, statt zu verbinden, er sät Zwietracht, statt für Harmonie in Europa zu sorgen. Vor der Krise war Deutschland die beliebteste Nation in Griechenland, heute sind wir dort die am meisten verhasste. Der Euro sorgt nicht nur für zunehmenden Ärger zwischen potenziellen „Geberländern“ und „Nehmerländern“ in der Eurozone, er verbreitert auch den Graben zwischen den 17 Euroländern und den zehn EU-Ländern, die nicht in der Eurozone sind. Von Letzteren wollen nach neuesten Umfragen nur noch die Rumänen in die Eurozone. Statt laufend neue Rettungspakete zu schnüren, ist es Zeit, einmal innezuhalten und zu fragen: Wo soll das enden? Haben wir wirklich keine Alternative?

Wenn die Politiker an ihrem Plan A festhalten, „koste es (Deutsche und Österreicher), was es wolle“ (so EU-Kommissionspräsident Barroso), steht am Ende eine Transferunion, in der jedes Land für die Schulden aller Länder verantwortlich ist. Wohin das führt, wissen Deutsche aus dem Länderfinanzausgleich: zu organisierter Verantwortungslosigkeit! Die Wettbewerbsfähigkeit der Eurozone würde leiden, der Wohlstand abnehmen, dafür wäre er dann innerhalb der Eurozone umverteilt. Schon deshalb ist die einzige Kritik, die Rot-Grün an Frau Merkel vorzubringen hat, dass sie Griechenland schon früher hätte helfen sollen.


Dominoeffekte. Der Plan B, ein teilweiser Schuldenerlass, mit oder ohne private Beteiligung („Haircut“), würde zwar die Schuldenlast Griechenlands senken, das fundamentale Problem seiner mangelnden Wettbewerbsfähigkeit aber nicht ändern. Die Variante, Griechenland aus dem Euro zu werfen, würde zum Sturm auf die Banken Athens, einer hoffnungslosen, „ewigen“ Überschuldung des Landes und zu Dominoeffekten in anderen Ländern führen. Verständlich, dass Politik, Banken und Realwirtschaft dieses Risiko nicht eingehen wollen.

Höchste Zeit also, sich Plan C anzusehen, vorsichtig den Knoten aus Finanzkrise, Eurokrise und Verschul-dungskrise zu lösen und dann in allen drei Feldern gezielt zu handeln:
•Finanzkrise: Bisher versteckte sich hinter jeder „Eurorettung“ die Rettung von Banken. Warum sonst sollte sich das Nichteuroland Großbritannien an der „Eurorettung“ in Irland beteiligt haben? Natürlich müssen wir dafür sorgen, dass Funken aus dem Finanzsektor nicht noch einmal die Realwirtschaft in Brand setzen. Allemal besser wäre es, das Problem separat zu lösen, indem alle nationalen Bankenrettungsschirme neu aufgespannt oder verbreitert werden. Zur Not muss der Bankensektor temporär verstaatlicht werden. In den USA und in Schweden wurde das durchaus erfolgreich vorexerziert. Für Deutschland wäre das fast irrelevant, da sich schon fast zwei Drittel der Banken und ein noch höherer Anteil griechischer Staatsanleihen in staatlicher Hand befinden.


•Eurokrise: Merkel und Faymann sollten das Heft des Handelns endlich selbst in die Hand nehmen und zusammen mit Ländern, die auf eine ähnliche Finanz- und Wirtschaftskultur zurückblicken, aus der Eurozone austreten und eine neue Währung begründen (Arbeitstitel: „Nordeuro“). Nicht nur Holland und Finnland kämen infrage, auch Länder, die sich bis heute nicht für den Einheitseuro entscheiden wollen, wie Schweden, Dänemark und Tschechien. Ein Übertritt der verbleibenden Euroländer, wie etwa Irlands, sollte nach der Sanierung ihrer Staatsfinanzen möglich sein. Neben der EZB, die weiterhin für den Euro verantwortlich bleibt, könnte eine eigene Zentralbank nach dem Muster der Bundesbank den „Nordeuro“ relativ schnell einführen. Die übrige „Mechanik“ entspricht der gleichen wie bei der Einführung des Euro.

Wenn es möglich war, aus siebzehn Einzelwährungen eine zu machen, sollte es auch möglich sein, aus einer Währung zwei zu machen. Die Vorteile liegen auf der Hand: keine von uns finanzierte Transferunion, kein Bankensturm, gegenüber Plan B das geringere Risiko eines Chaos. Zudem würde ein abgewerteter Euro neue Chancen für die Gesundung der Volkswirtschaften von Griechenland bis Frankreich eröffnen und uns einen höheren Inflationsschutz sichern. Schon vor der Einführung des Euro hatten wir viele Jahre den sogenannten „D-Mark“-Block. Was wirklich Neues ist das also nicht.


•Schuldenkrise: Mit zwei den unterschiedlichen Wirtschafts- und Finanzkulturen besser entsprechenden Währungen und einer teilweisen Entschuldung der Südländer durch den Norden müsste fortan jedes Land seine Schuldenkrise selbst lösen. Die Deutschen und die Österreicher blieben in einer Währungsunion und fänden sich nicht in einer Transferunion wieder. Deutsche Politiker bräuchten ihre Nase nicht mehr in die Angelegenheiten anderer Länder zu stecken und könnten sich auf ihr eigenes Land konzentrieren.

Klar, auch Plan C hat Nachteile. So würde ein aufgewerteter „Nordeuro“ auch die Exporte belasten. Aber angesichts der Tatsache, dass Deutschland inzwischen auch Importvizeweltmeister geworden ist und jetzt schon ca. 45 Prozent aller Exporte vorher importiert werden, wäre das eine überschaubare Gefahr. Mit einem „Nordeuro“ hätten die Bürger ein erheblich geringeres Inflationsrisiko. Beide Zentralbanken könnten mit einer den unterschiedlichen Kulturen und Konjunkturen angepassten Zinspolitik besser reagieren als im System des „One size fits all“-Einheitseuro. Die Entwicklung des Wechselkurses könnte ähnlich gesteuert werden, wie es heute die Schweizer Nationalbank erfolgreich demonstriert.

Wie das politisch zu schaffen wäre? Man müsste zuerst den Deutschen und den Österreichern reinen Wein darüber einschenken, wohin der derzeitige Kurs führen wird: zu einer unkontrolliert ansteigenden Schuldenlast, an deren Ende der staatliche Zugriff auf deutsches Privatvermögen oder Inflation oder beides stehen wird. Parallel dazu muss im „Süden“ dafür geworben werden, dass eine mit unserem Austritt verbundene Abwertung des „alten“ Euro zu einer Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit dieser Länder, durchaus auch zu unseren Lasten, führt. Schließlich müssten wir ein teures Austrittsticket lösen, zum Beispiel durch einen Schuldenerlass. Aber Hand aufs Herz: Hätten wir die Kredite unter Plan A und B je wiedergesehen?

Angesichts der Einheitseuro-Rhetorik der Medien und der Politik mag dieser Plan noch unwirklich erscheinen, aber seit ich ihn Ende 2010 zum ersten Mal vorgestellt habe, erfahre ich einen dramatischen Zuwachs an Zustimmung, egal, wo ich ihn präsentiere, hier und anderswo in Europa.

Schließlich: Wer hätte noch vor wenigen Monaten gedacht, dass Frau Merkel zum Geisterfahrer in der europäischen Energiepolitik werden würde? Wenn sie merkt, dass deutsche Wähler auf weitere Rettungspakete so reagieren wie auf „Fukushima“, wird sie das Steuer vielleicht doch noch herumreißen!

Hans-Olaf Henkel (*1940 in Hamburg) war von 1995 bis 2000 Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie. Als solcher meldete er sich oft und in deutlichen Worten zu wirtschaftspolitischen Themen zu Wort.

Seine Managementkenntnisse erwarb er in langjähriger Tätigkeit für IBM in führenden Positionen, zuletzt war er verantwortlich für Europa, den Mittleren Osten und Afrika.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.12.2011)

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