Generation Acta: Die Ohnmacht der Politik

Generation Acta Ohnmacht Politik
Generation Acta Ohnmacht Politik(c) AP (Matej Leskovsek)
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Das Anti-Piraterieabkommen Acta hätte still durchgewinkt werden sollen – das scheiterte. Warum der Streit darüber trotz Schuldenkrisen, Sparpaketen und Syrien präsent bleibt.

Seltsam, diese Aufmerksamkeit. Es geht doch nur um Produktpiraterie und Urheberrechtsverletzungen – Dinge mit denen der gemeine europäische Konsument kaum aktiv zu tun hat. Sollte man meinen. Was aus dem Scharmützel um Acta eine ausgewachsene Konfrontation zwischen dem ökonomisch/bürokratischen und dem offen/zivilgesellschaftlichen Bereich werden lässt, scheint seine symbolische Macht zu sein. Hier geraten die Interessen einer den Status quo bewahrenden Ökonomie (mit dementsprechend antiquierten Geschäftsmodellen) und einer oft ahnungslosen und im Sachzwang verstrickten Politik mit jenen der um ihre Lebenswelt im digitalen Raum kämpfenden Internetgeneration aneinander.


Warum gerade jetzt? Die Copyrightindustrie versucht schon seit Jahrzehnten, den Schaden, der durch den kostenfreien Inhaltefluss im Internet entsteht, abzuwehren. Neu ist das nicht, Acta steht dabei in einer ganzen Reihe versuchter und umgesetzter legislativer Maßnahmen auf sehr verschiedenen Ebenen. Ebenso lange versuchen die Digital Natives, diesen Bestrebungen Paroli zu bieten – mit wechselndem Erfolg. Doch die Maßstäbe sind diesmal anders. Zehntausende waren am 11.Februar gegen Acta auf der Straße und haben gezeigt, dass es hier abseits des Virtuellen um richtigen Bürgerprotest geht, um echte Demonstrationen, um Mobilisierung und um den direkten Mut zur Konfrontation. Und es war ein Protest der Jungen, der „Digital Natives“, der Facebookgeneration – der Generation, der man Passivität und Politikunlust nachsagt. In diesem Protest wurde eines ganz klar: Diese Leute lassen sich einen Angriff auf ihre Lebenswelt nicht weiter gefallen.

Man muss dabei gar nicht die Vorkommnisse des Arabischen Frühlings heranziehen, um einige Beobachtungen in den größeren Kontext des gerade so medienwirksam als Rolemodel eingeführten Wutbürgers zu stellen.

Wie weit das „Primat“ der Politik und die Funktionsfähigkeit der demokratischen Institutionen beschädigt sind, zeigt sich in den nur mehr auf bloßes Reagieren und Ausführen beschränkten Politik, die von Ratingagenturen, Banken, dem Kapitalmarkt und transnationalen Zusammenschlüssen wie Weltbank und Währungsfond getrieben ist. Dieses Muster beobachten die europäischen Bürger auch im Falle von Acta, wo Kapitalinteressen und multinationale Konzerne der Politik bloß mehr Umsetzungsbestimmungen vorzugeben scheinen. Die Ohnmacht der gewählten Volksvertreter wird dann zur ganz persönlichen Bedrohung, wenn Überwachungs-, Zensur-, und Verfolgungswahn der Copyrightindustrie willfährig von der Politik in geltendes Recht umgesetzt werden.

Doch wir haben es mit einer Generation zu tun, die sich dabei nicht einfach wegduckt, die nicht einfach ins Private emigriert oder in den Konsum flüchtet. Diese Generation hat gelernt, sich einzubringen – in kleinen Dosen, arbeitseffektiv und kräftesparend. So wie beim Blogpost, beim „Like“, beim Chat oder der kurzen Youtube-Produktion, nimmt man auch an politischen Aktionen teil. Man liefert seinen Teil und ist sich darüber hinaus der Kraft der im Internet zusammengeschlossenen „Crowd“ sicher. Diese Generation hat auch keine Lust mehr, die politischen Systeme wiederaufzubauen, sie arbeiten lieber am kompletten Neuentwurf und erschaffen ganz eigene (ihnen eigene) politische Strukturen. Die Piratenpartei ist eine solche.

Jahrzehntelang gelang es, den Status quo im Überwachungs- und Copyrightkomplex aufrechtzuerhalten. Zentrales Mittel dabei war die Herstellung von Rechtsunsicherheit und das daran anknüpfende Verbreiten von Angst. Hatte man vor der großen Dotcom-Krise mit rührender Ignoranz versucht, die alten Businessmodelle im neuen Internet auszurollen, wich dies danach schnell einer beispiellosen Verhinderungstaktik. Zum Schutze des eigenen, verstaubten Geschäftsmodells (Stars machen, massiv Werbung machen, Tonträger machen), genügte es Anfangs noch, einzelne Piraten herauszupicken und öffentlichkeitswirksam deren Existenz zu zerstören. Einige Jahre später wurde es schon schwieriger, Abschreckungsmaßnahmen zu inszenieren. Zu Hilfe kamen ihnen dabei nationale und internationale Körperschaften – deren Überwachungsapparate Interesse an Daten und Aktionen ihrer Bürger entwickelten. So konnte man Gesetze und Verbote für die tägliche Internetnutzung einführen, die man A) kaum nachvollziehen und B) mit begleitenden Angstkampagnen (z.B. www.raubkopierer-sind-verbrecher.de)flankieren konnte. Ziel war die Inszenierung eines diffusen Gefühls des möglichen eigenen Rechtsverstoßes bei jeder Nutzung des Internets.

Es wird sich zeigen, ob die Jungen es sich weiter gefallen lassen, dass sie als potenzielle Verbrecher(innen) unter ständige Beobachtung gestellt werden, oder ob aus der derzeitigen vorübergehenden Anti-Acta-Bewegung eine systemkritische Generation Acta wird. Waren in den 1970er- und 1980er-Jahren die Friedensbewegung und der Naturschutz jene Themen, für die sich die Jungen der damaligen Zeit einsetzten und kämpften, so sind es nun die Freiheit im Internet und der Aufstand gegen das Netz-Establishment. So verwundert es nicht, dass eine Partei, die die Copyrightverletzung trotzig in ihrem Namen führt, Wahlerfolge in nicht mehr ignorierbarer Höhe einfährt. Acta, Pipa, Sopa und Co. zeigen, wie die Copyrightindustrie und die hegemoniale Politik den Anschluss an eine neue Generation verpasst haben. Mit dem Erfolg, dass junge Bürger ihnen den Rücken zukehren.


Last Exit – Acta. Es ist die hier aufgestellte Argumentationskette, dass die Acta-Proteste nicht nur von einigen Nerds organisierte Proteste sind, sondern eine Zäsur markieren. Nämlich jenen Scheideweg in der Beziehung zwischen herkömmlichem System aus Politik, Wirtschaft und Institutionen (mit den bekannten und zunehmend erodierten Spielregeln) und einem sich abzuzeichnenden systemischen Wechsel. Dass sich hier etwas Besonderes zu tun scheint, wird inzwischen auch von manchem Politiker geortet. Stellvertretend für die vielen Politiker, die das drohende Beben auf ihrem Seismograf verspüren, seien Wolfgang Waldner als erster österreichischer Regierungsvertreter und die slowenische Botschafterin Helena Drnovsek Zorko erwähnt. Ersterer möchte Acta neu verhandeln, Zweitere entschuldigt sich gar im eigenen Blog dafür, dass sie die Vereinbarung unterschrieben hat: „Ich habe Acta aus bürgerlicher Unachtsamkeit unterzeichnet, weil ich nicht aufmerksam genug war.“ Und wenn schließlich Stefan Petzner (BZÖ) auf der Wiener Anti-Acta-Demonstration auftritt, so mag das nicht der Identifikation mit den gesellschaftlichen Zielen seiner Demonstrationskolleg(inn)en geschuldet sein, zeigt aber zumindest, dass das Wählerpotenzial der Generation Acta von der Politik geortet worden ist.

Schließlich noch ein Blick auf die Seite der Acta-Promotoren. Sind deren Ziele, die sie mit der Vereinbarung verfolgen, verwerflich? Aus meiner Sicht – Nein, nicht alle. Um den Lebens-, Arbeits- und Einkommensraum Internet weiter zu erhalten, braucht es natürlich auch Regeln des Zusammenspiels, und man wäre blauäugig, dies der Selbstregulation zu überlassen. Ja, wir brauchen Regelungen, die die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit der Inhalteproduzenten auch dann sichert, wenn sie ihre Geschäftsmodelle auf neue Gegebenheiten umstellen. Eine Regelung wie Acta könnte Innovationskraft schützen, Transformation ermöglichen und den Chancenraum Internet sichern, doch beim vorliegenden Entwurf stimmt diesbezüglich kaum etwas. Hier gehört von Grund auf neu gedacht – vielleicht helfen ja die Demonstranten vom 11.Februar dabei. Ich traue mich zu wetten: Ja.

Thomas Thurner
ist Geschäftsführer des Quartiers für Digitale Kultur (qdk.blogsome.com), Herausgeber von „Zukunftswebbuch“ (Wien 2010) sowie „Weißbuch Open Government Data“ (Krems 2011) und singt Bass beim Wiener Beschwerdechor (www.wienerbeschwerdechor.at)
Paul Pölleritzer

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.02.2012)

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