Wissenschaftliche Forschung ist kein "Quickie"

Wissenschaftliche Forschung kein Quickie
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Eifersucht und Neid sind starke Kräfte in der Welt der Wissenschaft. Der langfristige Finanzierungsplan für das IST Austria für die Jahre 2017 bis 2026 hat heftige Kritik und Kommentare ausgelöst. Die wichtigsten Fragen – und die entsprechenden Antworten.

Vor sechs Jahren wurde ich gebeten, den Vorsitz einer internationalen Kommission zu übernehmen, die Empfehlungen für die Errichtung eines neuen Instituts für herausragende Grundlagenforschung in Österreich entwickeln sollte, einer Anregung von Prof. Anton Zeilinger folgend.

Sechs Jahre später ist das Ergebnis unserer Überlegungen das Institute of Science and Technology (IST) Austria in Klosterneuburg. IST Austria ist kein Baby mehr, aber es ist noch ein junges Kind, fern der Reife. Zweieinhalb Jahre nach der Inbetriebnahme des ersten Gebäudes arbeiten bereits mehr als 20 erfolgreiche Forschungsgruppen in verschiedenen Bereichen der Wissenschaft mit mehr als 200 Mitarbeitern und ein paar Dutzend Doktoranden am Institut. Das Institut erhielt Lob und wurde von mehreren Seiten äußerst positiv bewertet. Aber es ist immer noch ein „work in progress“, kein „fait accompli“.

Letzte Woche präsentierten Bund und Land Niederösterreich den Finanzierungsplan für das zweite Jahrzehnt des Instituts, von 2017 bis 2026. In diesem Zeitraum soll das Institut reifen, so wie ein Teenager seiner Kindheit entwächst. Es scheint angebracht, zum Engagement von Bund und Land einige Fragen zu stellen – und die entsprechenden Antworten zu geben.


Ist es sinnvoll, das IST Austria zu einer weiteren guten, aber nicht wirklich herausragenden Forschungseinrichtung zu entwickeln?
Die Antwort ist ein klares Nein. Wenn das Institut nicht das Niveau der allerbesten Forschungseinrichtungen Europas erreicht, sollte es geschlossen werden. Andererseits würde ein derartiges Forschungsflaggschiff einen wesentlichen Beitrag zur gesamten österreichischen Forschungslandschaft und Wirtschaft leisten. Dies war in allen Ländern der Fall, die eine derartige Institution gegründet haben. Aber das kann nicht binnen eines Jahres oder selbst eines Jahrzehnts geschehen. Solch ein ehrgeiziger Plan erfordert Zeit.

Ist das IST Austria auf dem Weg, eine der allerbesten Forschungseinrichtungen Europas zu werden?
Einer der wichtigsten Indikatoren für exzellente Forschung in Europa ist der Wettbewerb um die sogenannten ERC-Grants der Europäischen Kommission. Diese werden auf der Grundlage eines offenen, europaweiten Verfahrens an herausragende Wissenschaftler vergeben. Die Objektivität dieses Prozesses kann nicht infrage gestellt werden. Der Prozentsatz der Gewinner ist üblicherweise sehr gering. Viele große Universitäten in Europa rühmen sich der Handvoll Gewinner aus ihren Reihen. Am IST Austria haben 40 Prozent aller Gruppenleiter bereits derartige ERC-Grants erhalten. Dies ist der höchste Anteil in Europa.

Ist eine derart langfristige Finanzierungszusage für das IST Austria gerechtfertigt?
Ein Wissenschaftler, dem eine Professur an der Universität Wien oder einer anderen österreichischen Hochschule angeboten wird, würde nie danach fragen, ob die Universität nach 2016 noch bestehen wird. Die Uni Wien möge größer oder kleiner, besser oder schlechter, reicher oder ärmer sein. Aber sie wird definitiv auch nach dem Jahr 2016 existieren, ihre viele Jahrhunderte lange Geschichte beseitigt alle Zweifel an dieser Frage. Ein exzellenter Wissenschaftler, dem eine Professur am IST Austria angeboten wird, ist üblicherweise sehr angetan von der Möglichkeit, an einem erfolgreichen und ehrgeizigen neuen Projekt mitzuwirken. Aber es wäre für jedermann unverantwortlich, ein Angebot einer Organisation zu akzeptieren, deren Existenz nur bis 2016 garantiert ist. Ein Student, der sich dieses Jahr am IST Austria für das Doktoratsprogramm bewirbt, wird aller Voraussicht nach erst nach 2016 seinen Abschluss machen. Das ist der einfache Grund für die ebenso notwendige wie ungewöhnlich langfristige finanzielle Zusage.

Wo will das IST im Jahr 2026 sein?
Zentrales Ziel des Instituts ist es, die großen Bereiche der Naturwissenschaften abzudecken – eine wesentliche Erfordernis in der heutigen Welt. Zudem ist moderne Wissenschaft interdisziplinär. Es mag vor Jahrzehnten sinnvoll gewesen sein, biologische Fragestellungen ohne jegliche Kompetenz in der Physik zu studieren. Heute basieren fast alle Methoden in der Biologie und der Medizin auf hochmodernen Entwicklungen in der Physik. Um die verschiedenen notwendigen Bereiche abzudecken und eine minimale kritische Masse in jedem Feld zu erzielen, muss ein derartiges Institut eine Größe von etwa 100 Arbeitsgruppen haben. Meine eigene Einrichtung, das Weizmann-Institut in Israel, verfügt derzeit über 250 Forschergruppen. Es versorgt Israel, das kleiner und ärmer als Österreich ist, mit mehr als einem Viertel seiner neuen Wissenschaftler.

Ist eine Milliarde Euro auf zehn Jahre verteilt eine Menge Geld?
Es ist immer leicht, Zahlenspielereien anzustellen und reißerische Schlagzeilen zu produzieren, vor allem wenn man die Zahlen über mehrere Jahre verteilt. In Wirklichkeit ist das durchschnittliche garantierte Budget, das dem IST Austria nun in Aussicht gestellt wurde – 65 Millionen Euro pro Jahr – ein kleiner Teil des Wissenschaftsbudgets. Es ist etwa fünfzigmal kleiner als die geschätzten Zahlungen an die österreichischen Universitäten im gleichen Zeitraum. Darüber hinaus hat sich Österreich verpflichtet, seine Forschungsförderungsausgaben zu erhöhen; die Zuwendungen an das IST Austria gehen definitiv nicht auf Kosten anderer Forschungseinrichtungen.

Ist es vernünftig, derart langfristige Verpflichtungen einzugehen, ohne regelmäßige Evaluierungen zu berücksichtigen?
Die erste Evaluierung des IST Austria führte zu einem begeisterten Bericht eines international zusammengestellten Teams unter dem Vorsitz des Nobelpreisträgers und ehemaligen Präsidenten der Rockefeller University sowie des California Institute of Technology, David Baltimore. Zudem ist ein wesentlicher Teil der versprochenen Förderung an die Einwerbung von Drittmitteln und andere wissenschaftliche Leistungen gebunden. Sie werden nicht ausgezahlt, wenn die Ziele nicht erreicht werden. Andererseits ist wissenschaftliche Forschung kein „Quickie“-Vorhaben. Ein Horizont von zehn Jahren ist notwendig, vor allem wenn beabsichtigt ist, eine der besten Einrichtungen in Europa zu schaffen und die ersten Jahre große Fortschritte in die richtige Richtung gebracht haben.
Schließlich, ist es sinnvoll in Zeiten einer weltweiten Finanzkrise die Mittel für ein Institut wie IST Austria zu erhöhen?
Der einzige signifikante und für die österreichische Wirtschaft verfügbare Wachstumsmotor besteht aus Technologie und Hirnschmalz. Investitionen in diesem Bereich sind von entscheidender Bedeutung, vor allem in Zeiten von Budgetkürzungen, um die Rahmenbedingungen für einen wirtschaftlichen Aufschwung in den kommenden Jahren zu schaffen. Mein eigenes Land, Israel, hat die Finanzkrise sehr gut überstanden, vor allem dank des großen Erfolgs wissenschaftsbasierter Industriezweige und technologischer Innovationen. Und mein eigenes Institut, das Weizmann-Institut, das ausschließlich der Grundlagenforschung gewidmet ist, ist heute Weltmarktführer bei der Realisierung von Lizenzgebühren aus geistigem Eigentum; die Erlöse aus dem Verkauf von Produkten basierend auf Patenten des Weizmann-Instituts übersteigen mehr als 12 Milliarden Euro pro Jahr. Wenn es dem IST Austria gelingt, bis 2026 nur ein paar Prozent dieses Jahresbetrags zu erzielen, wird jeder Cent gut angelegt worden sein.

Haim Harari
ist ehemaliger Präsident (1988–2001) des Weizmann-Instituts in Israel und Vorsitzender des Exekutivkomitees des Kuratoriums des IST Austria.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.02.2012)

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