Plädoyer für einen unabhängigen Chefankläger

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Symbolbild(c) Clemens Fabry
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Die Korruption hat so wenig zugenommen, wie die Leistungsfähigkeit der Justiz abgenommen hat. Aber um beides steht es schlecht genug.

Den ersten Kommentar über Österreichs ausufernde Korruption, über die mangelnde Gegenwehr der Staatsanwaltschaft und das problematische Weisungsrecht des Justizministers habe ich vor 35 Jahren geschrieben – und dann alle zehn Jahre wieder. Insgesamt sind es fünfzig Jahre, dass ich die negative gegenseitige Interdependenz dieser drei Phänomene beobachte: erst als Gerichtssaal-Berichterstatter des „Kurier“, 18 Jahre als Chefredakteur des „Profil“, der „Wochenpresse“ und des „Standard“, privat als Angeklagter in einem Strafprozess und seither als Kolumnist.

Ich maße mir daher ein ziemlich sachkundiges Urteil an: Es hat sich in fünfzig Jahren wenig geändert.

Nur ein kurzfristiger Beobachter kann meinen, die Korruption sei derzeit schlimmer denn je: Der korrupte Verkauf des „deutschen Eigentums“ durch den Minister für Vermögenssicherung Peter Krauland kurz nach dem Krieg hatte größere Dimensionen als alles, was gefolgt ist. Und der AKH-Skandal übertrifft den Schaden der aktuellen Skandale um Längen: Selbst wenn man annähme, dass wir die Eurofighter um die Hälfte – um 0,85 Milliarden Euro – überzahlt hätten, reichte das nicht ans AKH heran. Denn das war mit 3,3 Milliarden doppelt so teuer wie ein vergleichbares deutsches Spital, hat dem Steuerzahler also schätzungsweise Mehrkosten von 1,75 Milliarden beschert. Und das zu einem Zeitpunkt, zu dem Österreichs gesamte Staatsschuld 19 Milliarden betrug, während sie derzeit bei 220 Milliarden liegt.

Die paar hundert Millionen, die der Telekom-Skandal die Steuerzahler gekostet haben dürfte, sind, am AKH-Skandal gemessen, geradezu ein Klacks.

Soweit uns Ziffern zur Verfügung stehen, müsste man schließen: Die Dimension der Korruption hat sich eher verringert.

Größer als in Deutschland, Skandinavien oder der Schweiz ist sie nach Einschätzung von „Transparency International“ freilich allemal und die Ursachen liegen auf der Hand liegen:
•Korruption gelingt am leichtesten, wo einander Politik und Wirtschaft überschneiden. In Österreich geht der politische Einfluss besonders weit und ist der Anteil der staatsnahen Wirtschaft besonders groß – also ist es auch die Korruption. (Die ÖVP meint daher zu recht, dass die aktuellen Skandale Ansporn sein sollten, die Privatisierung voranzutreiben, auch wenn diese für sich genommen eine weitere Gelegenheit zur Korruption darstellt. Die SPÖ ist reflektorisch dagegen.)
•Österreichs katholische Tradition setzt der Korruption weniger Widerstand entgegen, als die kalvinistisch-protestantische Tradition Skandinaviens oder der Schweiz.
•Österreichs Antikorruptionsgesetzgebung ist entsprechend löchrig.
•Und sie wird von der Staatsanwaltschaft alles eher als enthusiastisch exekutiert.

Trotzdem kann nur ein kurzfristiger Beobachter der Ansicht sein, die Staatsanwälte arbeiteten derzeit besonders schlecht. Ich möchte es wieder am Beispiel des AKHs demonstrieren: Dort plädierte die Staatsanwaltschaft auf Einstellung des Verfahrens, obwohl U-Richterin Helene Partik–Pablé auf der Basis von „Profil“-Informationen erhoben hatte, dass Unternehmen, die seitens der AKH-Errichtungsgesellschaft Aufträge erhalten wollten, einen Prozentsatz der Auftragssumme auf ein Liechtensteiner Konto einzahlen mussten. Nur die Ratskammer konnte die Staatsanwaltschaft zur Fortführung des Verfahrens zwingen.

Ganz anders bei Buwog und Telekom. Dort führte schon ein viel weniger detaillierter „Profil“-Hinweis – ein Interview, in dem ein Mitarbeiter Karl- Heinz Grasser der Manipulation bezichtigte, und Grassers Klage – zu all den Erhebungen, die man derzeit – zu mancher Leute Entrüstung – in allen wichtigen Medien und sogar im staatlichen ORF mitverfolgen kann.

In der Schweiz wäre die Entrüstung angebracht. In Österreich stellen diese Veröffentlichungen sicher, dass man die zugehörigen Verfahren nicht stillschweigend einstellen kann.

Es gibt heute einen ungleich größeren Druck der „öffentlichen Meinung“, den Verdacht der Korruption durch die Justiz zu klären, und diese kommt dem ungleich besser nach als in der Ära der SP-Alleinregierung und ihres Justizministers Christian Broda

Ich könnte dafür noch ein Dutzend dramatischer Beispiele anführen, muss mich aber aus Platzgründen auf eines beschränken: Im sogenannten „Bauring-Skandal“ setzte eine gemeindeeigene Baufirma 1970 umgerechnet rund 100 Millionen Euro in den arabischen Wüstensand, dennoch flossen rund vier Millionen auf das Konto einer Wiener Bank zurück. Von „Profil“ über die Gründe dieses Rückflusses befragt, widersprachen einander die Beteiligten diametral – dennoch verzichtete die Staatsanwaltschaft auf die Kontoöffnung.

In der Ära Broda, nicht durch Beatrix Karl, wurde das Vertrauen in die Strafjustiz grundlegend zerstört – Karl war nur noch weniger als die meisten ihrer Vorgänger fähig, es langsam wieder aufzubauen.

Dazu hätte die Justiz durch mindestens zehn Jahre außergewöhnliche Leistungen erbringen müssen – und das war leider nie der Fall.

Wenn die Erste Oberstaatsanwältin Ilse Maria Vrabl-Sanda in der ORF-Sendung „Im Zentrum“ erklärte, die Staatsanwaltschaft agiere derzeit ohne jede politische Rücksicht und nahezu fehlerfrei, so kann ich das, wie mein Kollege Herbert Lackner, nur freundlich als „naiv“ einstufen: Es bleibt rätselhaft, wie übertreibende Tierschützer als Mafia angeklagt werden konnten, während umgekehrt ein Gernot Rumpold nicht einmal befragt wurde, wieso er für eine Pressekonferenz des Eurofighter-Herstellers EADS 96.000 Euro verrechnen durfte. Ihr Einwand, dass nicht alles, was seltsam wirkt, auch strafbar sei, wäre erst dann stichhaltig, wenn die Staatsanwaltschaft geprüft hätte, ob Teile der EADS-Zahlungen an Rumpold nicht vielleicht der FPÖ zugutekamen, deren Einfluss auf den Eurofighter-Kauf bekanntlich ein wesentlicher war.

Zugegebenermaßen sichert auch das noch nicht die Tatbestandsmäßigkeit: Die ist erst gegeben, wenn ein FPÖ-Politiker (etwa der damalige Verteidigungsminister Herbert Scheibner) nachweislich aufgrund dieses Geldflusses sachwidrigen Einfluss auf die Bestellung genommen hat. Mir ist klar, dass dieser Nachweis wie im Fall Grasser unglaublich schwer zu erbringen ist – aber das ändert nichts an der Pflicht der Staatsanwaltschaft, es über die Einvernahme Rumpolds zumindest zu versuchen.

Österreichs Staatsanwälte arbeiten also noch längst nicht wie Staatsanwälte in England oder Deutschland – man kann ihnen nur mildernd zugutehalten, dass die löchrige Antikorruptionsgesetzgebung ihnen die Arbeit so schwer wie möglich macht: Es kann tatsächlich, auch bei noch so großer Intensität der Erhebungen gegen Gernot Rumpold, Alfons Mensdorff-Pouilly oder Karl-Heinz Grasser, herauskommen, dass ihr Handeln nach geltendem Strafrecht nicht tatbestandsmäßig war.

Dass es Rücksichten eines ÖVP-geführten Justizministeriums waren, die zur Nichteinvernahme Rumpolds führten, wird so lange allgemeine Überzeugung bleiben, als die Staatsanwaltschaft an die Weisung des Justizministers gebunden bleibt.

Im „Zentrum“ hat der Ex-Klubobmann der ÖVP, Andreas Khol, darauf hingewiesen, dass er im Österreichkonvent, gemeinsam mit SP-Volksanwalt Peter Kostelka, vorgeschlagen hat, eine externe Überprüfung von Entscheidungen der Staatsanwaltschaft möglich zu machen. Der Dekan der rechtswissenschaftlichen Fakultät Heinz Mayer hat daran erinnert, dass schon der seinerzeitige Justizminister und Professor für öffentliches Recht, Hans Klecatsky, empfohlen hat, das Weisungsrecht vom Justizminister auf einen Außenstehenden zu übertragen.

Die anwesende Ex-Justizministerin Maria Berger konnte dem ganz und gar nichts abgewinnen, wobei ihre Argumentation ein wenig paradox wirkte: Wie ÖVP und SPÖ verteidigte sie ein Recht, von dem sie behauptete, dass seine Inanspruchnahme „graue Theorie“ sei. Kein Justizminister riskiere, tatsächlich eine Weisung zu erteilen.

Ich darf ergänzen, dass selbst Christian Broda nie eine Weisung erteilt hat, obwohl die Einstellung so gut wie aller Verfahren seiner Ära zweifellos seiner „Wohlmeinung“ und den Interessen der SPÖ entsprach.

Als Annäherung an eine Erklärung zitiere ich aus einem Gespräch mit dem Verkaufsdirektor eines großen Waffenhandelsunternehmens: „Ich habe niemals jemanden bestochen – dafür habe ich meine Leute.“

Das Weisungsrecht ist zwar nicht völlig „graue Theorie“, denn es ist für einen Oberstaatsanwalt nicht unerheblich, ob der Justizminister seine Entscheidung jedenfalls aufheben könnte, wenn er das wollte – aber viel entscheidender ist, dass er nur durch den Justizminister Oberstaatsanwalt werden kann.

Der Einfluss des Justizministers auf die Personalpolitik schaffte seinen faktischen Einfluss auf das Handeln der Staatsanwälte. Dass einander schwarze, rote und blaue Justizminister gefolgt sind, vermindert den politischen Einfluss nicht, sondern erhöht ihn: Jeder Minister bringt Leute seines Vertrauens in führende Stellung. Und um ein Verfahren eher der Einstellung zuzuführen, genügt es im Allgemeinen, dass ein Mitglied der Führungshierarchie sie energisch betreibt.

Den Einfluss auf die Personalpolitik wird man keinem Justizminister versagen können – aber alles spricht dafür, jemand anderen als ihn in letzter Instanz über „Anklage“ oder „Einstellung“ von Verfahren entscheiden zu lassen.

Denn der Justizminister selbst müsste sich in Wahrheit in allen Fällen, in denen ein Strafverfahren seiner Partei erheblichen politischen Schaden zufügen könnte, für befangen erklären – schließlich kostete ihn ihre Abwahl seinen Job.

Eine Möglichkeit bestünde darin, die Funktion eines „Chefanklägers“ zu schaffen, der sein Weisungsrecht sehr wohl gebrauchen sollte und auf diese Weise das Recht des Justizministers, leitende Staatsanwälte zu ernennen, sinnvoll ausbalancierte.

Es wäre naheliegend, ihn mit Dreiviertel-Mehrheit des Parlaments zu bestellen – mit dem Risiko, dass er sich allen Parteien verpflichtet fühlte.

Ich plädierte daher schon vor Jahren für die Wahl eines solchen Chefanklägers durch alle österreichischen Staatsanwälte und alle österreichischen Richter: Sie sind sachkundig, und ihnen allen ist das Interesse an einer funktionierenden, parteiunabhängigen Strafjustiz gemeinsam.

zum Autor

Peter Michael
Lingens
Journalist und Autor, geb. 1939 in Wien. Nach Matura und Bundesheer beginnt er als Redakteur bei der „Arbeiter Zeitung“, wird später Gerichtssaalreporter beim „Kurier“.

Ab 1970 ist er Mitbegründer und Herausgeber des „Profil“, ab 1990 der „Wirtschaftswoche“. Er schreibt bis heute ein Kolumne im „Profil“.

Bücher: „Auf der Suche nach den verlorenen Werten in Politik, Kunst, Moral und Gesellschaft“ (1986), „Wehrloses Österreich“ (2000), „Ansichten eines Außenseiters“ (2011).

Clemens Fabry

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.04.2012)

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