Wer den Euro retten will, wird mit den Europäern reden müssen

Euro retten will wird
Euro retten will wird(c) AP (Emilio Morenatti)
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Dass die Märkte wieder Vertrauen in die Europäische Union gewinnen ist essenziell für das Überleben des Euro. Nicht weniger wichtig aber ist die Rückgewinnung des Vertrauens der Bürger. Auf längere Sicht kann man die Zukunft der EU nicht allein auf Angst aufbauen. Es braucht auch eine ausreichend starke Zustimmung in der Bevölkerung.

Die Eurokrise brach zu einer Zeit aus, in der die traditionellen Antriebskräfte der europäischen Integration – die Schaffung neuer Chancen für Menschen und Unternehmen – erlahmt waren und weitere Vertiefungsschritte auf zunehmenden Widerstand stießen. Eine Reihe gescheiterter Referenden und insbesondere das Fiasko des Verfassungsvertrags zeigten klar, dass die Bereitschaft, den Eliten in Richtung der „immer engeren Union“ zu folgen, deutlich abgenommen hatte.

Ein wichtiger Faktor war dabei auch die Unfähigkeit der Regierungen der Mitgliedstaaten und der Brüsseler Institutionen, Sinn und Nutzen der EU wirksam zu kommunizieren. Die traditionelle Rhetorik über die EU als Friedensprojekt verlor an Relevanz, die Vision eines Bundesstaates – nie mehr als ein elitäres Minderheitenprogramm – büßte angesichts der zunehmenden Heterogenität der erweiterten Union weiter an Unterstützung ein. Im Gegensatz zu Europapolitikern mit strategischem Konzept wie Kohl, Mitterand und Delors, sind die heutigen Mitglieder des Europäischen Rates überwiegend Pragmatiker, die selten politisch über den nationalen Tellerrand hinaus denken. Kein Wunder, dass rechts- und linkspopulistische Parteien, die die EU als multikulturelles Globalisierungsprojekt verdammen und die Rückkehr zu starken Nationalstaaten predigen, an Boden gewinnen.


Eines Tages wird eine Krise kommen.Bis vor kurzem sprach alles für eine längere Konsolidierungs-, ja Stagnationsphase in der EU. Der Vertrag von Lissabon war von beschränkter Tragweite, die Kommission – lange der Motor der europäischen Integration – hatte an Einfluss verloren und unternahm wenige weitreichende Initiativen und das EU-Budget – ein guter Gradmesser der Ambition der EU – stellt heute einen geringeren Anteil am EU-BNP dar als noch vor einigen Jahren. Dann aber kam die Schulden- und Eurokrise und veränderte fast alles. Durch die Schaffung einer Währungsunion mit schweren Konstruktionsfehlern und einer zu breiten Mitgliedschaft war eine Bombe gelegt worden, die in einer akuten Krisensituation explodieren musste. Einige der damals verantwortlichen Politiker wussten offenbar, worauf sie sich da einließen. Der damalige Kommissionspräsident Romano Prodi sagte der „Financial Times“ im Dezember 2001: „Ich bin sicher, dass der Euro uns zwingen wird, eine ganze Reihe wirtschaftspolitischer Instrumente einzuführen. Es ist unmöglich, dies heute vorzuschlagen. Aber eines Tages wird eine Krise kommen, und dann werden diese Instrumente geschaffen werden.“

Zehn Jahre später findet sich Europa in genau dieser Situation. Die neuen Instrumente, die die EU im Rahmen der Bekämpfung der Krise geschaffen hat – riesige Rettungsfonds, innovative Interventionen der Europäischen Zentralbank, neue strenge Regeln für die Haushaltsdisziplin und Schritte zu einer engeren wirtschafts- und finanzpolitischen Abstimmung – wären vor ein paar Jahren noch unvorstellbar gewesen. Furcht und Notwendigkeit scheinen ebenso wirksame Integrationsfaktoren zu sein, wie dies früher die Verheißung neuer wirtschaftlicher Möglichkeiten war. Dennoch gibt es gute Gründe daran zu zweifeln, ob Prodis Rezept für Integration durch Krisenmanagement aufgehen kann.

Erstens gleicht die Eurokrise einer haarsträubenden Achterbahnfahrt. Mühsam erkämpfte Stabilisierungspakete schaffen nur Momente der Beruhigung, bevor die Finanzmärkte in die nächsten Turbulenzen abstürzen. Alle bisherigen Schritte haben kaum ein Problem nachhaltig gelöst. Die Schuldenproblematik spitzt sich weiter zu, die makroökonomischen Ungleichgewichte bestehen weiter und in der Kernfrage, wie viel Solidarität erforderlich ist, um die Währungsunion dauerhaft abzusichern, vertiefen sich die Gegensätze.

Zweitens wirkt das Krisenmanagement ebenso spaltend wie verbindend. Wenn die Koordinierung unter den Mitgliedern der Eurozone verstärkt wird, riskieren die übrigen Mitgliedsländer, marginalisiert zu werden. Der Zusammenhalt der EU der 27 könnte also der Rettung des Euro zum Opfer fallen. Auch ist aus der Perspektive der überschuldeten Länder der Eindruck unvermeidlich, dass es jene gibt, die die Therapie verordnen und jene, die die bittere Pillen schlucken müssen. Diese Spaltung ist zwar Teil jeder Gläubiger-Schuldner-Beziehung, widerspricht aber dem Konzept einer Gemeinschaft von Gleichen, die ein Fundament der europäischen Integration darstellt.


Technokratische Überlegungen. Das Eurokrisenmanagement wurde drittens wesentlich von technokratischen Überlegungen bestimmt: Wie groß muss der Rettungsfonds sein? Wie viel Liquidität braucht das Bankensystem? Wie viel Haushaltsdisziplin muss den Schuldnerländern abgefordert werden etc.? Dabei geht es immer darum, die Finanzmärkte zu überzeugen, dass die EU in der Lage ist, nachhaltig mit der Schuldenkrise umzugehen. Der unvermeidbar technokratische Charakter der Debatte ändert freilich nichts an der Tatsache, dass viele der Entscheidungen schließlich die Unterstützung durch die Parlamente der Mitgliedstaaten erfordern. Bisher hat der Ernst der Lage dafür gesorgt, dass die notwendigen parlamentarischen Entscheidungen zustande kamen. Das Ergebnis der letzten griechischen Parlamentswahlen hat allerdings gezeigt, dass damit auf Dauer nicht gerechnet werden kann.

Dies führt zum Kern des Problems: In der gegenwärtigen Krise bestimmt der Druck der Märkte die Dynamik der Entscheidungsfindung. Die Erfordernisse demokratischer Politik bleiben dabei auf der Strecke. Dass eine weitere Vertiefung der europäischen Integration die einzige Möglichkeit darstellt, um eine wirtschaftliche Katastrophe zu verhindern, ist sicher ein starkes Argument. Aber auf längere Sicht kann man die Zukunft der EU nicht allein auf Angst aufbauen. Es braucht auch eine ausreichend starke Zustimmung in der Bevölkerung. Ein europäisches System, in dem die Märkte auf Solidarität bestehen, während immer mehr Menschen von Renationalisierung träumen, ist zum Scheitern verurteilt.

Wer meint, dass mehr Europa notwendig ist, um den Herausforderungen der Finanzkrise zu begegnen, um die Werte von Europa zu bewahren, seine Interessen zu schützen und sicherzustellen, dass es an der Gestaltung der künftigen globalen Ordnung mitwirken kann, der muss mit politischen Argumenten für seine Überzeugungen eintreten. Wirtschaftliche Notwendigkeit kann einen starken Impuls geben, sie bietet aber keine Alternative zum Aufbau der notwendigen Unterstützung durch einen breiten und fundierten politischen Prozess.


Verbesserung der Lebenschancen. Dabei muss die ursprüngliche Triebkraft der Europäischen Integration, die Verbesserung der Lebenschancen für die Bevölkerung, wieder ins Spiel gebracht werden. Das Katastrophenabwehrargument muss durch eine kohärente Darlegung des positiven Potenzials der vorgeschlagenen Maßnahmen ergänzt werden. Die derzeit stattfindende Akzentverschiebung von der fast ausschließlichen Fokussierung auf Sparen zur Stärkung der Aussichten für das Wachstum ist ein Schritt in die richtige Richtung. Schuldenabbau kann nicht als Selbstzweck sondern nur als Element einer umfassenden europäischen Strategie zur Wirtschaftserholung vermittelt werden.

Weiters müssten die Staats- und Regierungschefs davon abgehen, die Probleme der Eurozone nur als Krisenfeuerwehr anzupacken, wenn es wieder neue Brandherde zu löschen gilt. Es braucht eine systematischere Auseinandersetzung mit den Kernfragen der Eurozone und die Ausarbeitung eines umfassenden Lösungsansatzes. Dies erfordert politischen Mut, insbesondere wenn dadurch weitere Vertragsänderungen notwendig werden sollten. Aber wenn die Bürger Europas wieder an Bord gebracht werden sollen, dann brauchen sie ein klareres Bild von dem, was auf dem Spiel steht. Nur auf dieser Basis kann ein seriöser politischer Prozess stattfinden. Schließlich muss jede weitere Vertiefung der europäischen Integration von der Stärkung der demokratischen Legitimität der EU-Entscheidungen begleitet werden. Dafür gibt es kein Allheilmittel, sondern wohl eher eine Verbindung unterschiedlicher Maßnahmen, die von zusätzlichen Befugnissen für das Europäische Parlament, über eine größere Rolle der nationalen Parlamente, eine direktere demokratische Legitimierung der Kommission bis zu Vorkehrungen für die direkte Beteiligung der Bürger an EU-Entscheidungsprozessen reichen. Die Stärkung der Rechenschaftspflicht gegenüber der Öffentlichkeit ist jedenfalls ein unverzichtbarer Teil des Aufbaus eines stärkeren Europas.

Der Gewinn des Vertrauens der Märkte ist gewiss essenziell für das Überleben des Euro. Die Rückgewinnung des Vertrauens der Bürger ist jedoch nicht weniger wichtig. Monat für Monat wird klarer, dass das Vernachlässigen der politischen Dimension der gegenwärtigen Krise in die Katastrophe führt. Die Öffentlichkeit in einen substanziellen Dialog über die Bedeutung und Zukunft der europäischen Integration einzubeziehen könnte dagegen eine neue Chance für einen Ausweg aus der Krise schaffen.

Zum Autor

Stefan Lehne
(*1951 in Innsbruck) studierte Rechtswissenschaften und internationale Beziehungen. Von 2002 bis 2006 Leiter der Direktion für den westlichen Balkan und Osteuropa im Generalsekretariat des Europäischen Rates; von 2009 bis 2011 war er Politischer Direktor im Außenministerium in Wien. Lehen verließ den diplomatischen Dienst. Er arbeitet nun für die renommierte „Carnegie-Stiftung“.
EPA

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.06.2012)

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