Die Wehrpflicht kostet mehr, das Berufsheer kostet viel mehr

Zur Volksbefragung. Befürworter der Wehrpflicht und des Berufsheers verbergen den Stimmbürgern die Konsequenzen ihrer Entscheidung.

Eine „offene und tabufreie Diskussion“ über die Zukunft des österreichischen Bundesheers hat Norbert Darabos angekündigt, nachdem der Koalitionsbeschluss über die Volksbefragung am 20.Jänner gefallen ist. Es hat sie nicht gegeben, und es kann sie auch in den paar Tagen bis zum Abstimmungstag nicht mehr geben.

Von Anfang an haben beide Parteien nur darauf geachtet, jeweils das Gegenteil dessen zu sagen, was der Koalitionspartner will. Nachdem die SPÖ ihren halsbrecherischen Schwenk zum Berufsheer vollzogen hatte, weil Michael Häupl in Wien einen Wahlschlager brauchte, blieb der ÖVP nur die bedingungslose Verteidigung der Wehrpflicht übrig. Die Opposition hat sich ebenfalls nicht angestrengt: Die FPÖ ging mit einem Bekenntnis zur Wehrpflicht auf Nummer sicher; die Grünen verstecken hinter ihrer Wahl des Berufsheers die geheime Hoffnung, das werde nur der erste Schritt zur Abschaffung des Heeres überhaupt sein.

Kollektive Verdrängung

Erwähnenswert sind ausnahmsweise die Kommunisten: Dort, wo sie völlig bedeutungslos sind, wie in Wien, propagieren sie die gänzliche Abschaffung des Heeres; wo sie Verantwortung tragen, wie in Graz, sind sie für die Wehrpflicht, da ihnen ein Berufsheer als Auswuchs des Kapitalismus erscheint und sie es richtigerweise als Vorstufe zum Nato-Beitritt betrachten.

Beide Seiten verbergen den Wählern vom übernächsten Sonntag die Implikationen ihres Konzepts. (Falls man aus den rudimentären Vorstellungen, die uns präsentiert wurden, darauf schließen möchte, dass dahinter überhaupt jeweils ein schlüssiges Konzept steckt.) Die Logik der allgemeinen Wehrpflicht ist die Neutralität und die sich daraus ergebende Verpflichtung zur („umfassenden“) Landesverteidigung. Die Logik des Berufsheers ist die Teilhabe an einem größeren europäischen Verteidigungs- und Sicherheitsverbund – also auf Deutsch: Mitmachen in der Nato.

In beiden Fällen kommt man – wenn man es ernst nehmen wollte – nicht darum herum, eine Antwort auf die Frage zu geben, wofür man in letzter Konsequenz sein Leben und – wenn man ein politischer Entscheidungsträger oder militärischer Kommandant ist – das anderer Menschen einzusetzen bereit ist. Das ist die Ultima Ratio des Militärischen, aber in Österreich Gegenstand einer kollektiven Verdrängung.

Nicht, dass die Österreicher ihr Heer nicht gern hätten. Im Gegenteil: Sie schätzen „unsere Burschen“ beim Aufräumen nach Überschwemmungen im Sommer und Lawinenabgängen im Winter, und sie mögen sie bei militärischen Aufmärschen und Angelobungen. Die Heeresschau zum Nationalfeiertag auf dem Heldenplatz zieht Zehntausende an, zu einer echten Militärparade über den Ring reichen die Mittel aber schon lange nicht mehr. Außerdem hat man nicht mehr viel zum Herzeigen. „Am liebsten wäre dem Österreicher ein unbewaffnetes Heer“, konstatiert Hubert Patterer in der „Kleinen Zeitung“ sarkastisch.

Dass ein Berufsheer teurer als eine Armee von Wehrpflichtigen ist, ist unbestritten. Wer für die Erhaltung der Wehrpflicht ist, darf sich aber nicht einbilden, damit schon die vermeintlich billigere Variante gewählt zu haben. Das Bundesheer braucht auch in seiner jetzigen Form einen Totalumbau und einen veritablen Wiederaufbau. Das betrifft Bewaffnung, Ausrüstung, Bekleidung und Kasernen, kurz das Militärische. „Heute ist ein Soldat halb so alt wie das Fahrzeug, auf dem er sitzt“, formuliert ein hoher Militär in bitterer Ironie.

Veit Sorgers zwiespältiger Dienst

Wenn man eine Wehrpflicht von auch nur sechs Monaten gegenüber denjenigen, die sie auf sich nehmen sollen, rechtfertigen will, muss man ihnen vor allem eine solide militärische Ausbildung zukommen lassen. „Und das heißt immer noch: fahren, funken, schießen“, sagt ein altgedienter Soldat. Veit Sorger, der das ÖVP-nahe Personenkomitee für die Wehrpflicht anführt, tut seiner Sache daher einen zwiespältigen Dienst, wenn er sich das Heer hauptsächlich als ein Art Lehrwerkstätte oder Berufsschule der Nation vorstellt.

Wer ein Berufsheer haben will, befindet sich in guter europäischer Gesellschaft. 21 von 27 EU-Staaten haben eines, sie sind aber mit Ausnahme von Schweden und Irland alle Mitglieder der Nato. Schweden ist freilich Mitglied der nördlichen Sicherheitsstruktur, die ihrerseits durch Norwegen an die Nato angebunden ist.

Vor Kurzem ist der frühere deutsche Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) gestorben. Er hat diesen Posten nur ungern übernommen, ihn dann aber mit Überzeugung und zum allgemeinen Respekt ausgefüllt. Von ihm stammt der unvergessliche Satz: „Deutschlands Sicherheit wird am Hindukusch verteidigt.“ Er hat damit die militärische Logik eines EU-Mitgliedslandes definiert. Nationale Sicherheit gibt es heute nur noch als weltweite Absicherung von Interessen und durch Friedenssicherung – und sei es am anderen Ende der Welt.

Die Befürworter des Berufsheers müssen sich auch klar darüber sein, dass die Entscheidung dafür unumkehrbar ist. Für die Abschaffung der Wehrpflicht nach Artikel 9a, Absatz 3 Bundesverfassungsgesetz braucht es eine Zweidrittelmehrheit im Nationalrat. Für beide derzeitigen Koalitionsparteien wäre das eine Zerreißprobe. Sollte sich das sicherheitspolitische Umfeld eines Tages ändern, wäre eine Wiedereinführung der Wehrpflicht kaum denkbar.

Das alte Trauma der SPÖ

Was aber macht die SPÖ mit der Bestimmung des Artikels 79, der dem Bundesheer die Aufgabe überträgt, „auch über den Bereich der militärischen Landesverteidigung hinaus zum Schutz der verfassungsmäßigen Einrichtungen“ sowie „zur Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit im Inneren überhaupt“ einzuschreiten? Möchte sie diese Aufgaben einem kleinen Berufsheer übertragen?

Dass ein Berufsheer eine „Bürgerkriegsarmee“ werden könnte, ist ein altes Trauma der SPÖ. Das dürfte eines der Motive von Bundespräsident Heinz Fischer sein, ausnahmsweise und mit für ihn ungewohnter Entschiedenheit eine Position einzunehmen, die den Beschlüssen seiner Partei widerspricht. Nur eine Wehrpflichtpflichtarmee gilt einem Sozialdemokraten seines Schlags als eine „demokratische“ Armee.

Eine ebenso große Hürde wäre die Freiwilligkeit bei Auslandseinsätzen, die ebenfalls verfassungsrechtlich abgesichert ist. Derzeit kann ein Berufssoldat – Präsenzdiener werden dafür entgegen mancher irriger Vorstellung nicht eingesetzt – noch „auf den Stufen der Gangway“ seine Entscheidung, an einem Auslandseinsatz teilzunehmen, widerrufen.

Weiterer Schritt zur Demontage

Die Bundesheerreformkommission unter Helmut Zilk hat seinerzeit mit den Stimmen aller fünf Parteien vorgeschlagen, diese Freiwilligkeit abzuschaffen. Das wurde nie umgesetzt. Ein Berufsheer mit Freiwilligkeit wäre eine groteske Vorstellung. Möglich und gar nicht unwahrscheinlich ist die Aussicht, dass die Volksbefragung – wie immer sie ausgeht – nur ein weiterer Schritt zur Demontage des Heeres überhaupt ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.12.2012)

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