Benedikts Vermächtnis und der nächste Papst

Gastkommentar. Die Kirche braucht neue Leitungsstrukturen, um den großen Herausforderungen in globalen Dimensionen gewachsen zu sein.

Santo subito“ – sofort heiligsprechen, riefen die Menschen am Petersplatz nach dem Tod von Johannes Paul II. „Santo subito“, sagte ein untergeordneter Mitarbeiter im Vatikan im vergangenen Sommer leise, aber bestimmt und irgendwie melancholisch über Benedikt XVI. – wohl wissend, dass niemand außer ihm selbst diesem Papst die Heiligmäßigkeit zubilligen würde.

Zu jener Zeit hatten sich dunkle Wolken des Geheimnisverrats im Vatikan über dem Papst zusammengezogen. Auch seine körperliche Hinfälligkeit war schon allzu sichtbar geworden.

Für seine Entscheidung zum Rücktritt wurde dem Papst zweischneidiger Respekt gezollt. Die einen bemerkten höhnisch, zurückzutreten sei der beste Dienst gewesen, den er der Kirche erweisen konnte. Andere haben ihn begrüßt, weil sie darin eine Relativierung des Amtes zu sehen meinen. Er habe damit die katholische Auffassung der Identität von Amt und Person aufgegeben, fand ein reformierter Theologe triumphierend.

Papstamt ist kein Weiheamt

Dabei wird verkannt, dass das Papstamt kein Weiheamt ist. Man übernimmt es völlig formlos, indem man auf einen Balkon tritt und den Menschen zuwinkt. Seine letzte Weihe hat Joseph Ratzinger 1977 bekommen, als er Erzbischof von München wurde. Durch sie wurde ihm eine unwiderrufliche Prägung verliehen, die ihm auch durch den Rücktritt vom Papstamt nicht genommen wird.

Für seine unerhörte Lebensleistung als Theologe, Bischof und Kurienkardinal, für seinen Dienst als Papst, der immer mehr zu einem Kreuzweg geworden ist, findet er wenig Anerkennung, geschweige denn Dankbarkeit. Dennoch werden die Kirche und auch viele Menschen außerhalb der Kirche noch lange davon zehren. Nur wenige Würdigungen wie etwa die in der „Neuen Zürcher Zeitung“ stechen aus dem vielstimmigen Chor von Kritik und Abschätzigkeit hervor, in den schändlicherweise auch viele kirchliche Kommentatoren eingefallen sind.

Österreichische und deutsche sogenannte Kirchenreformer werfen dem Papst vor, dass er ihre Wunschkataloge von der Aufhebung des Pflichtzölibats bis zur Frauenordination nicht abgearbeitet hat. Verächter der Kirche haben aus demselben Grund nur Gehässigkeit für ihn, obwohl es ihnen vollkommen gleichgültig sein müsste, ob sich eine Kirche, die sie ohnehin auf den Misthaufen der Geschichte wünschen, in ihrem Sinne „modernisiert“ oder nicht.

Was ist das Vermächtnis dieses Papstes und welche Aufgaben stellen sich dem Nachfolger? Im Rückblick stellen sich die beiden zusammen 35 Jahre langen Amtszeiten von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. als eine Ära mit unterschiedlichen Akzentsetzungen dar. Der Erste hat eine selbstbewusste Kirche gezeigt, die auf die ganze Welt zugeht und sich auch nicht scheut, ihre geistige und moralische Kraft für ein politisches Ziel – die Niederringung des Kommunismus – einzusetzen.

Der Zweite hat mit nicht erlahmender Geduld und außerordentlicher intellektueller Kraft an die eigentliche Tiefe des Glaubens der Kirche erinnert, damit sie sich in den Banalisierungen der Moderne nicht selbst verliert. Auf dieser Selbstvergewisserung der Kirche kann der Nachfolger getrost aufbauen.

In einer frei auf Italienisch gehaltenen Rede hat sich Benedikt vom Klerus in Rom verabschiedet. Man kann diese sehr persönlich anekdotisch gehaltenen Worte durchaus auch als eine Art Vermächtnis lesen.

Konzilstexte neu entdecken

Benedikt erzählte vom Konzil, an dem er als wichtiger Berater beteiligt gewesen ist. Nach 50 Jahren sei es an der Zeit, dass das „virtuelle Konzil“ der Medien verschwinde und das „wahre Konzil“ zum Vorschein komme, sagte er. Nicht ein vager „Geist des Konzils“ solle gesucht, sondern die konkreten Texte, um die erbittert gerungen worden ist, müssten wieder entdeckt sein.

Diese „relecture“ der Konzilstexte, die der Papst dringend empfiehlt, könnte auch helfen, die Maßstäbe für Reformen zu finden, die nicht bloße Anpassungen an den Zeitgeist sind. Im Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen etwa haben die orthodoxen Kirchen Modelle, die das Grundanliegen der Kirche, die sakramentale Ehe nicht zu unterminieren, mit dem Gebot pastoralen Verständnisses vereinen.

Um eine Aufgabe hat Benedikt einen Bogen gemacht und sie seinem Nachfolger hinterlassen, der ihr nicht ausweichen wird können. Es ist die Neuordnung der gesamten kirchlichen Leitung rund um den Papst. Die Reform der römischen Kurie, von der alle reden, ist nur ein Unterkapitel davon.

In der Kurie herrscht eine schlimme „Italianità“ aus Intrigen, Rivalitäten und Machtspielen. Ob damit nur ein Italiener aufräumen kann, der die Schwächen seiner Landsleute kennt, oder ein Nichtitaliener, der keine Rücksicht nehmen muss, ist nicht die leichteste Entscheidung im Konklave.

Bedeutender ist allerdings, dass sich der künftige Papst eine Entscheidungsstruktur schafft, die der Dimension einer Weltkirche angemessen ist und die ihn von seiner Umgebung in der Kurie unabhängig macht.

Internationalisierung der Kurie

Es war Joseph Ratzinger, der schon vor Jahrzehnten dazu den Schlüssel geliefert hat. Er schlug vor, zwischen dem unaufgebbaren Amt des Bischofs von Rom als Garant des einen Glaubens mit dem Lehramt und den vielen anderen Leitungsfunktionen in einer Großorganisation zu trennen. Einheit, die nicht als Uniformität definiert ist, ist immer schon ein Wesenszug der Kirche.

Gerade weil die Kirche kein Dachverband von Ortskirchen ist, sondern primär eine Weltkirche, braucht sie in Rom eine ständige Vertretung der Kontinente und regionalen Einheiten. Dazu muss eine Internationalisierung der Kurie kommen, die aber nur gelingen kann, wenn die Diözesen rund um die Welt bereit sind, ihre besten Leute nach Rom ziehen zu lassen. Sonst werden weiterhin italienische Klüngel und bestimmte Organisationen das Personal stellen.

Die Außendimension der Aufgabe eines Papstes ist aber die noch größere. Die Kirche ist in Afrika und Asien in einem stetigen Aufschwung, was sie zunehmend in Konflikt mit einem aggressiven Islam bringt. Die Christen und unter ihnen die Katholiken sind unterdessen die am stärksten verfolgte Gemeinschaft auf der Welt. Sie zu verteidigen, wird Mut und Augenmaß zugleich erfordern.

Bedrohte Religionsfreiheit

Nicht nur in Lateinamerika steht die Kirche in Konkurrenz zu expandierenden evangelikalen und TV-Kirchen amerikanischen Zuschnitts. Das ist eine nicht geringe Herausforderung für die soziale Botschaft und Praxis der Kirche. Die katholische Soziallehre sollte allerdings zu mehr imstande sein als einer sterilen, modischen Kapitalismuskritik.

Die Kirche ist hineingestellt in globale Konflikte. In verschiedenen Gestalten erscheinen neue totalitäre Systeme, die Religionsfreiheit ist vielerorts bedroht, auch schon in Europa. Der Papst, die Katholiken und alle Christen können und dürfen sich dem nicht entziehen. Sie sind dabei ohnmächtig und mächtig zugleich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.02.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.