Die Burgenländer Kroaten – eine fast vergessene Minderheit

Sprachpolitik. Die Zukunft dieser Volksgruppe hängt auch davon ab, ob es ihr gelingt, eine selbstbewusste Schicht von Gebildeten zu bekommen.

Silvia L. ist in Wien geboren, hier aufgewachsen und in die Schule gegangen. Mit Ausnahme einiger längerer Aufenthalte im Ausland – ihr Mann ist Diplomat – hat sie immer in Wien gelebt. Silvia ist Kroatin: Keine Wiener Kroatin, sondern eine burgenländische Kroatin. So fühlt sie sich. In ihrer Familie wurde immer die Sprache der burgenländischen Kroaten gesprochen, mit ihren Eltern spricht sie selbstverständlich nur dieses Idiom, mit ihren drei Kindern vorzugsweise. Nicht bei allen dreien freilich „sitzt“ die Muttersprache gleich gut.

Dass Wien zur geheimen Hauptstadt der Burgenlandkroaten wurde, hat mit der Armutswanderung zu tun, die in den ersten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts tausende Burgenländer aller Sprachgruppen vom Land in die Städte und bis in die USA trieb. Die in Wien lebenden Kroaten haben aber zumeist bis heute die Verbindung zu ihrer Herkunftsgemeinde erhalten.

Wertvolle Zeit verloren

In eine solche „Emigrantenfamilie“ wurde 1913 auch Fritz Robak geboren, mit dessen Namen die unglückliche und verfehlte Volkstumspolitik der Burgenlandkroaten über Jahrzehnte hinweg verbunden ist. Durch diese Politik haben die Kroaten wertvolle Zeit verloren und sind etwa gegenüber den Slowenen in Rückstand geraten.

Als er fünf Jahre alt war übersiedelte Robak mit seiner Familie nach Steinbrunn, wo er 1945 Bürgermeister wurde und es über 35 Jahre blieb. Er schuf in der Gemeinde eine für seine Vorstellungen musterhafte Kommunalverwaltung. Robak stammte aus sehr bescheidenen Verhältnissen. Zu Hause sprach seine Familie Burgenlandkroatisch, er selbst äußerte sich in der Öffentlichkeit aber nie anders als auf Deutsch. Assimilierung hielt er für einen natürlichen, unvermeidlichen Prozess. Beruflicher Aufstieg sei eben nur möglich, wenn man die kroatische Sprache aufgab und die deutsche annahm.

Nach seinem sozialistischen Dogma war das Volkstumsproblem nur eine Funktion der sozialen Frage. Mit dem sozialen Aufstieg lösten sich die Menschen auch von ihrer ethnischen und kulturellen Herkunft, die durch den allgemeinen Fortschritt der Menschheit bedeutungslos werde.

„Rechte dürfen keine Pflichten werden“, war sein Postulat, wenn es um die Erfüllung der im Artikel 7 des Staatsvertrages von 1955 verankerten Minderheitenrechte ging. Nur eine kleine Schicht Intellektueller habe ein Interesse daran.

Robak schuf mit dem „Präsidium der SPÖ-Mandatare aus kroatischen und gemischtsprachigen Gemeinden“ eine Plattform für die Volksgruppenpolitik der SPÖ. Ein später Reflex dieser Politik findet sich freilich im Entwurf eines Volksgruppengesetzes wieder, der nach der Kärntner Ortstafellösung vom Bundeskanzleramt ausgearbeitet wurde.

Darin sollen die Volksgruppen zu Vereinen oder bürgergesellschaftlichen Gruppen anderer Sprache herabgestuft werden. Den Volksgruppen sollen alle kollektiven Rechte genommen werden, die sich auf die sprachliche und kulturelle Identität gründen: Beziehungen zum Hauptausschuss des Nationalrats zu unterhalten; das Recht auf die Wahrung ihrer kulturellen und sprachlichen Traditionen; Politiker dürften nach dem Entwurf nicht in die Volksgruppenbeiräte entsandt werden, was Bürgermeister und Gemeinderäte ausschließen würde.

Das Gegenmodell der ÖVP, den Volksgruppen den Status einer Körperschaft öffentlichen Rechts mit interner Autonomie zu verleihen, wird von der SPÖ abgelehnt. Die Sache wurde für diese Legislaturperiode auf Eis gelegt, wird aber unweigerlich bei Koalitionsverhandlungen nach der Wahl wieder auf den Tisch kommen.

Zu Hause in vier Sprachen

Wie vital die kroatische Volksgruppe dennoch ist, zeigt die Tatsache, dass sie viel mehr Persönlichkeiten von österreichweiter Bedeutung hervorbringt als die zahlenmäßig gleich starken Slowenen. Mit Fred Sinowatz hatte sie einen Bundeskanzler, bis vor Kurzem saßen mit Nikolaus Berlakovich und Norbert Darabos zwei Minister kroatischer Herkunft in der Regierung.

Die Grüne Terezija Stoisits ist Volksanwältin. Der Autobusunternehmer Paul Blaguss wurde groß mit dem Transport burgenländischer Wallfahrer nach Mariazell. Aus der Volksgruppe kommen zwei der bisher drei burgenländischen Bischöfe und der bekannte Künstlerclan der Resetarits sowie der Stargeiger Toni Stricker.

Die Sprachpolitik der burgenländischen Kroaten leidet unter der Schwierigkeit, dass ihnen zugemutet wird, in vier Sprachen irgendwie zu Hause zu sein: In der Familie wird oft ein sehr begrenzter örtlicher Dialekt gesprochen. In der Volksschule und namentlich in der Kirche begegnet ihnen die burgenlandkroatische Schriftsprache, die seit der Ansiedlung von Kroaten aus Zentralkroatien und der Militärgrenze zu Beginn des 16. Jahrhunderts im heutigen Burgenland, in Westungarn und der Slowakei eine vom „Hoch“-Kroatischen eigene Entwicklung genommen hat. In den oberen Klassen der Pflichtschule und im Gymnasium schließlich wird die heutige kroatische Standardsprache gelehrt.

Größte Wunde: Das Schulwesen

Die größte Wunde der kroatischen Volksgruppe ist das Schulwesen. Es fehlt vor allem an kroatischsprachigen Kindergärten und Mittelschulen. Das zweisprachige Gymnasium in Oberwart hat es noch längst nicht geschafft, so wie das slowenische Gymnasium in Klagenfurt, für die Volksgruppe eine größere Schicht von Akademikern heranzubilden.

Andererseits wird das kroatischsprachige Angebot in den Schulen oft nicht angenommen. Kritik gibt es auch daran, dass das Kroatische als Amtssprache faktisch nicht verwendet wird. Wie überall in ähnlichen Situationen sieht die Volksgruppe in den Volkszählungen eine „Minderheitenfeststellung“, die letztendlich durch ihre suggestiven Effekte zur weiteren Schwächung der Minderheit beitragen.

Eine gewisse Hoffnung ist das Projekt einer zweisprachigen Schule in Wien, deren Zielgruppe auch die Kroaten in der Slowakei und Ungarn wären. Vor allem aber soll sie ein Ort sein, an dem die autochthonen Burgenlandkroaten mit den neuen Zuwanderern aus dem künftigen EU-Mitgliedsland Kroatien zusammentreffen. Die Sprache an der Schule wäre Standardkroatisch.

Zurück zu Silvia: Sie hat das Gefühl, dass ihre Volksgruppe viel Zeit versäumt hat: „Zu lange haben wir unser Kroatentum für selbstverständlich gehalten. Jetzt bemerken wir, dass es gefährdet ist. Wir haben zu spät begonnen, bewusst um die Erhaltung unserer Kultur und Sprache zu kämpfen.“

Keine Illusionen

Viel werde davon abhängen, ob die Kroaten eine selbstbewusste Schicht von Gebildeten bekommen. Eine Tochter hat deshalb ein Jahr in Zagreb studiert, damit sie eine größere kroatische Welt kennenlernen konnte. Wenn die Kinder studiert haben, werde in den Familien oft kroatisch gesprochen. Aber Illusionen macht sie sich keine: „In jeder Generation verlieren wir ein Fünftel. Ich sage nur: Mit mir darf es nicht zu Ende gehen.“

debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.05.2013)

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