Nestroy in da Bredullje

Ist das österreichische Deutsch noch zu retten? Nicht um die EU-geschützten Paradeiser und Erdäpfel müssen wir uns Sorgen machen, akut gefährdet ist vielmehr ein bestimmter Tonfall und die Vielfalt von Ausdrucksmöglich-keiten des Österreichischen.

In einer Inszenierung von Nestroys „Jux“ lässt das Burgtheater den Christopherl zum Weinberl sagen: „Jetz' sitz'n wa in da Bredullje.“ Diesen Satz muss man sich auf der Zunge zergehen lassen oder besser, ihn sich laut vorzusagen versuchen, damit einem der preußische Tonfall so richtig in die Knochen fährt. Bei Inge Konradi und Josef Meinrad, die am Burgtheater ein legendäres Paar in diesen Rollen gewesen sind, hat das anders geklungen. Sie müssen sich im Grab umdrehen, wenn die Zentralanstalt für die Pflege des österreichischen Deutsch keine Schauspieler mehr hat, die einen Nestroy in wienerischem Tonfall sprechen können.

Aber das Burgtheater macht schon längst nicht mehr Schule, es ist selbst ein Opfer der Vorherrschaft der Medien und der Werbung und dort dominiert eben der in Deutschland übliche Sprachgebrauch samt dessen schlampigen Unsitten, wie dem Weglassen des „e“ in Endungen, das sich in der letzten Zeit rasant verbreitet. Im ORF und auf der Bühne hört sich das dann so an: Im folgndn Konzert hörn Sie ... Oder: Ihnn (gemeint: Ihnen), empörnd, ausreichnd, anwesnd, Diensthabnder usw. Das Wort Bredouille, zu Nestroys Zeiten in Wien gang und gäbe, ist aus dem heutigen Sprachgebrauch gänzlich verschwunden, und da die Kenntnis des Französischen weit weniger verbreitet ist als seinerzeit, werden auch andere französische Wörter so ausgesprochen wie man es aus Deutschland hört: Wahlkampannje; Sturmflut in der Bretannje.

Um die Marmelade, die Erdäpfel, die Marillen, die Eierschwammerln, die Paradeiser müssen wir uns keine Sorgen machen ebenso wenig wie um den Topfen, den Schlagobers oder den Vogerlsalat. Die sind unverwüstlich, und überdies werden sie von der EU garantiert: Es war bei einem Mittagessen in einem Restaurant in Brüssel am 31. März 1994, als eine kleine Gruppe hoher österreichischer Beamter jene Liste von Wörtern zusammenstellte, für die man in Europa einen geschützten Status verlangte. Sie müssen im Brüsseler Amtsgebrauch und auf Verpackungen neben den deutschen Ausdrücken genannt werden. Auf Verpackungen deshalb, weil es sich bei den 23 Begriffen, die es letztendlich geworden sind, ausschließlich um solche für Lebensmittel handelt.

„Die Gründungsakte des neuen österreichischen Selbstbewusstseins war umweht von Küchenduft“, schrieb dazu ein Korrespondent der Neuen Zürcher Zeitung ironisch. „Ist es also wahr, dass der Österreicher ist, was er isst?“ Man darf daraus auch einen geheimen Neid heraushören, denn das Schweizerische hat zwar sehr ausgeprägte eigene Sprach- und Sprechformen, die aber als Dialekte gelten und nicht den Rang einer eigenen Form des Deutschen beanspruchen dürfen. Das Vordringen der Dialekte in den öffentlichen Gebrauch bestätigt das nur.

Einzig mögliches Deutsch

Die Sprachwissenschaftlerin Jutta Ransmayr hat einen Text verfasst, in dem sie einige der Besonderheiten des Österreichischen zusammengestellt hat: „Ich denke noch öfter an einen Tag im Jänner – oder war es im Februar? – als ich noch ein kleiner Bub war. In der Früh drehte die Mama das Licht auf, und ich versteckte mich unter dem Polster und der Tuchent.“ Was uns ganz selbstverständlich als richtiges und einzig mögliches Deutsch erscheint, wäre es in Deutschland keineswegs. Dort heißt der Jänner Januar und der Februar Feber – was geradezu als eine Laune der Sprachentwicklung anzusehen ist. Die Mama ist nicht „die Mama“, sondern eben nur Mama. Der Bub heißt in Deutschland bekanntlich Junge, statt „in der Früh“ müsste es dort heißen: „am Morgen“. Das Licht wird bei uns aufgedreht und nicht angemacht.

Die Beispiele für markante Unterschiede lassen sich unendlich fortsetzen und die Vielfalt ist so groß, dass sie genug Stoff für das „Österreichische Wörterbuch“ bietet, das seit seiner Gründung nach dem Krieg schon 40 Ausgaben erlebt hat. Der deutsche Satz: „Der Junge hat am Fenster gestanden“ heißt bei uns: „Der Bub ist beim Fenster gestanden“. Er enthält eine ganz wichtige österreichische Eigenheit, nämlich die Konjugation intransitiver Verben mit „sein“ und nicht mit „haben“. Das ermöglicht eine sehr wichtige Differenzierung: „Der Bub ist vor dem Jugendrichter gestanden und hat seine Tat gestanden.“

Sessel und Stuhl

Ein Sessel ist bei uns eine einfache Sitzgelegenheit, ein Stuhl eine feierliche (Heiliger Stuhl, Richterstuhl), in Deutschland ist es genau umgekehrt. „Es zahlt sich nicht aus“ etwa ist so spezifisch österreichisch, dass es anderswo im deutschen Sprachraum völlig fremdartig erscheint und nicht einmal verstanden wird. Dazu muss man den Satz von Karl Kraus zitieren: „In keiner Sprache kann man sich so schwer verständigen wie in der Sprache“ – noch dazu in der eigenen, möchte man hinzusetzen.

So selbstbewusst die Österreicher ihre kulinarischen Eigenheiten samt den für sie verwendeten Begriffen verteidigt haben, so wenig Widerstand setzen sie freilich dem Verschwinden ihrer spezifischen Sprachformen im eigenen Land entgegen. Neuerdings schmecken Speisen auch bei uns „lecker“ und statt „Lass mich auch einmal probieren“ hört man immer öfters „Lass mich mal probieren“. Die Zeitungen gehen hier mit schlechtem Beispiel voran.

Vielen Österreichern ist selbst gar nicht bewusst, dass es das Österreichische nicht nur als tirolerischen, kärntnerischen oder wienerischen Dialekt gibt, sondern als eine österreichische Form des Hochdeutschen, oder wie es wissenschaftlich heißt, der „Standardsprache“, dass es also keineswegs nur eine Randerscheinung in der sprachlichen Vielfalt Europas darstellt.

Das Festhalten an den österreichischen Formen des Deutschen ist nicht eine liebenswerte bis lästige Marotte von selbstverliebten Provinzlern, die das zu ihrer Selbstbestätigung brauchen. Das österreichische Deutsch hat besondere Qualitäten und einen reichen Vorrat an feinen Abstufungen und Differenzierungsmöglichkeiten, die zum großen Reichtum der deutschen Sprache beitragen und deshalb nicht verloren gehen sollten. So unterscheiden wir genau zwischen dem intransitiven „fahren“ und dem transitiven „führen“, oder wir sollten es zumindest. Also: Der Chauffeur fährt mit der Rettung (die neuerdings ambulance heißt, obwohl 99 Prozent der Österreicher Deutsch, Serbokroatisch und Türkisch sprechen – aber das ist ein anderer Artikel) und führt den Kranken ins Spital. In Deutschland wird ein Kranker bekanntlich ins Krankenhaus gefahren.

Gemächlicher und weicher

Einen deutlichen Unterschied gibt es auch in der Aussprache von Vokalen. Wir sprechen etwa den Vokal „i“ als solchen aus, während es die Deutschen häufig tiefer im Rachen ansetzen, wodurch es kaum mehr als „i“ wahrnehmbar wird. Das nennt man I-Vokalisierung. Auch das kann man am Burgtheater jeden Abend hören. Auch sprechen die Österreicher wohl etwas gemächlicher und weicher, häufig auch schlampiger und haben eine eigene Weise, Dialekt und Standardsprache zu verbinden, wofür man das von der Wiener Oberschicht gesprochene Döblinger Deutsch als Beispiel nehmen könnte.

In einer großen Sprachgemeinschaft herrscht ein ständiger Austausch. Daher leiden Österreicher und Deutsche gemeinsam an allerlei modischen Torheiten, die in ihrer Sprache ununterbrochen neu entstehen. „Das 21. Jahrhundert ist gerade mal sieben Jahre alt“, lese ich in einer bedeutenden deutschen Zeitung. Dort wie hier sollte statt des schrecklichen „gerade mal“ das schöne, kurze deutsche Wörtchen „erst“ genügen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.08.2007)

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