Ein europäisches Tabu: Die weltweite Christenverfolgung

In der westlichen Öffentlichkeit ist das Schicksal der verfolgten Christen rund um die Welt kein Thema. Einer internationalen Solidarität wie die Tibeter können sich Christen nicht erfreuen.

Während bei uns eine intellektuelle Debatte darüber geführt wird, ob es zulässig ist, im Verhältnis der Religionen auf Gegenseitigkeit zu dringen, wird die Frage anderswo faktisch entschieden.

Das Wort von der Reziprozität, der Gegenseitigkeit im Verhältnis von Christentum und Islam, ist ein Schlüssel- und ein Reizwort zugleich. Mit dem absichtsvoll einschränkenden Adjektiv konditional versehen, macht es momentan die Runde unter intellektuellen Katholiken. Eingeführt wurde es augenscheinlich von Papst Benedikt XVI. Er verwendete es gelegentlich, wenn auch nie zu laut und zu deutlich, hat es aber neuerdings, wie es scheint, aus seinem Wortschatz wieder gestrichen, wohl um den „Dialog“ mit den Moslems nicht zu gefährden. Dabei müsste genau die Reziprozität einer der Gegenstände eines solchen Dialogs sein.

Was bedeutet der Begriff? „Ohne Reziprozität in der Gewährung von Grundrechten wie Religionsfreiheit geht es auf die Dauer nicht“, sagte der frühere Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Karl Lehmann. Die Moslems sollten ruhig in Rom eine Moschee bauen, die höher ist als der Petersdom, meinte der Kardinal salopp, „ich möchte dann aber im Gegenzug nicht verhaftet werden, wenn ich in Saudiarabien eine Messe lese“. Das ist freilich ein frommer Wunsch, denn er würde in diesem Land sehr wohl verhaftet werden, wenn er es täte. Allenfalls würde man ihn unter Diplomatenstatus in die deutsche Botschaft und dann außer Landes verfrachten.

Der Bischof von Eisenstadt, Paul Iby, der sonst sehr selten durch öffentliche Äußerungen auffällt, steuerte auch einen Beitrag zum Thema bei, als er sagte, die Christen sollten in der Frage des Moscheenbaus nicht nach dem Prinzip des „Aug' um Aug', Zahn um Zahn“ handeln. Damit meinte er wohl, sie sollten keine Vergeltung üben, was allerdings voraussetzen würde, dass ihnen Unrecht getan worden ist. Jedenfalls ist ein Bild aus dem Strafrecht nicht sehr geglückt, zumal die Regel des „Aug' um Aug'“ eine enorme Humanisierung der Strafrechtspflege im alten Israel bedeutete, weil es eine Abkehr von der willkürlichen Vergeltung brachte.

Der Vorsitzende der islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich, Anas Schakfeh, fühlt sich durch das Wort Reziprozität provoziert und reagiert jedesmal sehr gereizt, wenn er damit konfrontiert wird. Er antwortet darauf mit der eigentümlichen Wendung, man dürfe keinen „Handel mit Menschen“ veranstalten. Auch wenn nicht ganz klar ist, was er damit meint, muss man festhalten, dass die Rede nicht von Menschenhandel ist, sondern von Menschenrechten.

Vom Kirchenbau nicht zu reden

Aus dem Bisherigen wird ersichtlich, worum es bei dem Begriff geht und worum nicht – und warum er auf manche so provozierend wirkt. Es geht bei der Forderung nach Reziprozität nicht darum, dass in Österreich keine Moscheen gebaut werden sollen, weil in den islamischen Ländern keine Kirchen gebaut werden dürfen. Das wird mit unterstellt, wenn das Wort konditional verwendet wird. Es geht vielmehr um das Gegenteil: Weil in Österreich selbstverständlich Moscheen mit und ohne Minarett gebaut werden dürfen, darf man vielleicht fragen, warum in den moslemischen Ländern die Christen nicht dieselben Rechte haben wie die Moslems bei uns und ihren Glauben nicht unbehindert ausüben dürfen. Von Kirchenbau braucht man in den meisten dieser Länder ohnehin nicht zu reden. Die Frage, ob mit oder ohne Kirchturm, stellt sich dort gar nicht. In der Türkei, die der Europäischen Union beitreten will, wird nicht einmal die Errichtung einer kleinen Kapelle in Tarsus, dem Geburtsort des Heiligen Paulus, gestattet.

Dem neuen Wiener Weihbischof Stephan Turnovszky entschlüpfte eine Bemerkung, die bezeichnend ist für eine in Europa weit verbreitete Haltung: „Man kann anderen Ländern nicht vorschreiben, wie sie sich Christen gegenüber verhalten sollen.“ Warum kann man das eigentlich nicht? Darf man nicht verlangen, dass für sie die elementaren Menschenrechte der Religionsfreiheit einschließlich dem der Konversion gelten, die hierzulande selbstverständlich sind, und was dem universal gewordenen Standard der Humanität entsprechen würde?

„Wer bleibt, der stirbt“

Dabei ist das Verlangen nach Reziprozität ohnehin nur ein hilfloser Versuch, die dramatische Situation zu verbessern, in der sich viele Christen – beileibe nicht nur, vor allem aber in den islamischen Ländern – befinden. Wenn man die Dauerentrechtung der Christen etwa in Saudiarabien oder Pakistan als „Normalzustand“ nimmt, ist die Lage derzeit im Irak am schlimmsten. Ein Fanal war die Ermordung des chaldäisch-katholischen Bischofs Paulos Faraj von Mossul, dessen Leichnam auf einer Mülldeponie gefunden wurde.

Aus dem Irak ist seit 2003 bereits die Hälfte der damals noch eineinhalb Millionen Christen ausgewandert, andere befinden sich auf der Flucht aus dem Süden in vermeintlich sicherere Gegenden des Nordens. Im Schatten des anhaltenden Bürgerkriegs fällt die Vertreibung der Christen nicht so auf. Angesichts der Perspektive „Wer bleibt, der stirbt“ klingt der Appell des Erzbischofs von Canterbury an die Christen des Irak, sie möchten doch „der Versuchung zur Emigration widerstehen“, eigenartig.

Eingewiesen in die Psychiatrie

Die Verfolger sind meistens nicht die Staaten unmittelbar, sondern aufgeputschte Massen, fanatische Gruppen, religiöse Warlords. Freilich bietet der Staat den entsprechenden Hintergrund, wenn Christen, die sich zu ihrem Glauben bekennen, im Gefängnis oder in der Psychiatrie landen können, wenn, wie in Afghanistan oder Pakistan, die Konversion zum Christentum unter Strafe gestellt ist, da der Islam ein solches Recht prinzipiell nicht anerkennen will. Im Westen verschanzt man sich der Bequemlichkeit halber gern hinter der beliebten Unterscheidung zwischen friedfertigen und gewalttätigen Moslems.

In der westlichen Öffentlichkeit ist das Schicksal der verfolgten Christen rund um die Welt kein Thema. Einer weltweiten Solidarität wie die Tibeter können sich Christen nicht erfreuen. Auch die Kirchen selbst bringen es nur mit eigentümlicher Zurückhaltung zur Sprache, womit sie die ganz wenigen Politiker, die darüber reden und sich für die Verfolgten einsetzen, wie etwa in Österreich Wolfgang Schüssel oder in Deutschland Wolfgang Schäuble, allein lassen. Am mutigsten ist dabei noch der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Wolfgang Huber, der sich damit regelmäßig den Zorn der Moslems zuzieht. In seiner Karfreitagspredigt beklagte Huber die Verfolgung der Christen im Irak und verglich sie mit ethnischen Säuberungen und Völkermorden anderswo in der Welt, die tatenlos hingenommen würden. Die Vorsicht der Katholiken hat wohl damit zu tun, dass man seine Glaubensangehörigen, die oft als Minderheiten leben, nicht noch mehr gefährden möchte. In verschiedenen Gegenden der Welt begegne der christliche Glaube „großen Schwierigkeiten und Feindseligkeit“, sagte Benedikt XVI., aber das Leiden habe nach christlichem Verständnis nie das letzte Wort.

Ziel: Das Recht zur Konversion

Da der Verfolgung und dem Exodus nicht gewehrt werden kann, geht es jetzt darum, den Flüchtigen Schutz und Asyl zu gewähren. Aber auch das stößt auf große Schwierigkeiten. Die EU hat die Aufnahme flüchtiger Irakis – nicht nur Christen, sondern auch anderer nicht-moslemischer religiöser Minderheiten – auf die lange Bank geschoben. Letztere werden vom UNO-Flüchtlingshilfswerk als „most vulnerable“ bezeichnet, weil sie auch dann keine Perspektive im Irak haben, wenn es dort zum Frieden kommen sollte.

Unabhängig vom Schicksal der Irak-Flüchtlinge wären zwei Ziele anzustreben, wie Hans Maier, der ehemalige Präsident des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken, es vorschlägt: die Anerkennung von Religionsflüchtlingen im Sinn der Flüchtlingskonventionen und die Fortentwicklung des Prinzips der Religionsfreiheit auf ein Recht zur Konversion. Aber selbst diese Konsequenz aus der Religionsfreiheit ist keineswegs so selbstverständlich, wie man annehmen möchte.

Hans Winkler war langjähriger Leiter der Wiener Redaktion der „Kleinen Zeitung“.


meinung@diepresse.com("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.05.2008)

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