Treffpunkt mit einer schweren Sprache

Sprache und Integration. Erfahrungen eines ehrenamtlichen Instruktors in einer Deutschlerngruppe für Flüchtlinge und Zuwanderer.

Acht Wochen habe ich im Integrationszentrum in der Landstraßer Hauptstraße in Wien eine Deutsch-Übungsgruppe für Ausländer geleitet. Es handelt sich nicht um einen Sprachkurs, dazu braucht man Lehrer mit einer entsprechenden Ausbildung, die ich nicht habe. Die Aufgabe war es, das im Sprachkurs Erworbene in der praktischen Konversation zu üben und zu festigen. Organisiert werden die Gruppen vom Projekt Treffpunkt Deutsch des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF).

Die Anmeldung zu einer solchen Lerngruppe ist unkompliziert. Die Schüler werden nach ihren Sprachkenntnissen und den Kursen, die sie absolviert haben, befragt und in eine ihnen entsprechende Gruppe eingeteilt. Die Teilnahme ist kostenlos und unverbindlich, es gibt keine Prüfungen und kein Zeugnis. Wenn man in mindestens sechs der acht Doppelstunden anwesend war, stellt der Österreichische Integrationsfonds eine Bestätigung aus.

Für das Programm werden Leute gesucht, die ehrenamtlich „Flüchtlinge und Zuwanderer einige Stunden in der Woche beim Erwerb und der Vertiefung ihrer Sprachkenntnisse unterstützen möchten“, wie es auf der Website des ÖIF heißt. Die Formalitäten für die Ehrenamtlichen sind einfach: Unter anderem muss man einen Strafregisterauszug (zu einem für Freiwillige verbilligten Tarif von etwa dem Preis einer Straßenbahnkarte) vorlegen. Bei einem Einführungs-Workshop traf ich Menschen der verschiedensten Berufe, aber keinen ausübenden Lehrer. Auch dürfte ich der einzige Pensionist gewesen sein. Ob man „es kann“, merkt man sehr bald. Einfach in die Klasse zu gehen und ohne Vorbereitung loszulegen, leistet man sich nur einmal. Zwei Stunden können lang sein, wenn sie sinnvoll verbracht werden sollen. Auch bloße Konversation braucht eine Struktur.

Allerdings hat man es als Freiwilliger mit Freiwilligen leichter als ein Lehrer in der Schule. Vor einem sitzt ein Dutzend großteils sehr bemühter und interessierter Erwachsener, die aber auch sofort wegbleiben, wenn es ihnen nicht gefällt und sie den Eindruck haben, nichts zu profitieren.

Über Fluktuation der Teilnehmerschaft darf man sich nicht wundern. Nach der ersten Stunde gehen einige, weil es ihnen zu leicht oder zu schwer war, andere kommen neu dazu. Bei mir haben immerhin acht nie gefehlt und bis zur letzten Stunde durchgehalten.

An dieser Stelle ist eine Klischeevorstellung zu korrigieren: Pünktlich um 17 Uhr saßen alle auf ihrem Platz. Als Lehrer-Dilettant macht man auch subtile kulturelle Erfahrungen. Wenn ich am Ende der Stunde die Tafel abwischen wollte, nahm mir manchmal die Iranerin im Kurs sanft, aber bestimmt das Tuch aus der Hand und erledigte die Arbeit. Offensichtlich gehört es sich in ihrem Herkunftsland für einen Lehrer nicht, dass er selbst die Tafel abwischt.

Die obligate Frage

Meine Gruppe war auf dem Sprachniveau A2/B1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen angesiedelt, also etwa: mäßig Fortgeschrittene. Alle Teilnehmer hatten Sprachkurse für A2 oder B1 absolviert. B1 und B2 stehen für „Selbstständige Sprachverwendung“. Über grammatische Einzelheiten und lateinische Bezeichnungen für Wortkategorien, Fälle und Zeiten sind alle bestens orientiert, sich selbstständig auszudrücken und einen ganzen deutschen Satz zu bilden, fällt einigen gleichwohl sehr schwer.

Nach der Vorstellungsrunde stellt man die obligate Frage: Warum nehmen Sie an einer solchen Übungsgruppe teil? Es gab darauf von allen nur eine Antwort: „Ich möchte so gut Deutsch lernen, dass ich mich um eine Arbeit bewerben kann. Meine jetzigen Kenntnisse reichen dazu nicht aus.“

Das antwortete die Universitätsabsolventin aus Sarajewo, die seit zwei Jahren in Österreich lebt und deren Mann mit einer Rot-Weiß-Rot-Karte hier ist, ebenso wie der Usbeke, der seit zehn Jahren Asylstatus hat, aber erst jetzt realisiert, dass er ohne Deutschkenntnisse nie wirklich in diesem Land ankommen wird.

Außer der Iranerin leben alle Kursteilnehmer schon länger in Österreich. Die Russin Olga wartet mit Mann und zwei Schulkindern seit elf Jahren auf den Ausgang ihres Asylverfahrens. John aus Nigeria ist in sechs Jahren kaum jemals aus Wien hinausgekommen, eine Fahrt nach Eisenstadt war seine bisher weiteste Reise.

Verharren im Teufelskreis

Anscheinend nicht wenige Immigranten schlagen sich irgendwie durch und entschließen sich erst nach Jahren zu einem Deutsch-Kurs. Da in ihrem Fach alles in englischer Sprache sei und die Kollegen auf der Universität mit ihr auch nur Englisch sprechen würden, habe sie Deutsch nie gebraucht, meinte eine Ägypterin. Da sie aber nach dem Doktoratsstudium in Österreich bleiben will, lernt sie jetzt Deutsch.

Sprachkurs belegen, Sprachkurs belegen. Deutsch lernen, Deutsch lernen: Das ist das Mantra in der Integrationspolitik. Aber was geschieht mit den Leuten, wenn sie den Sprachkurs hinter sich und keine Aussicht auf eine Arbeit haben? Viele sitzen in einem Teufelskreis: Sie können nicht gut genug Deutsch, dass sie eine Arbeit bekommen würden; da sie aber keine Arbeit haben, fehlt ihnen das Umfeld, in dem sie allenfalls Deutsch lernen oder üben könnten. Nach dem Sprachkurs fehle ihr die Möglichkeit zur Konversation, klagte eine Syrerin.

Viele bleiben auch in Österreich in ihrer Herkunftssprache und -kultur und haben wenig Kontakte zu der sie umgebenden deutschsprachigen Welt. Wenn eine ambitionierte Frau einen desinteressierten arbeitslosen Mann hat, stoßen ihre Bemühungen an Grenzen.

Es braucht mehr Freiwillige

Eine junge Frau erzählte, dass ihr Mann sehr gut Deutsch spreche, aber mit ihr – verständlicherweise – nur in der Muttersprache reden möchte. Allerdings habe sie sich angewöhnt, nur österreichisches Fernsehen anzuschauen.

Weniger Gebildete scheinen oft außer dem Sprachlehrbuch keine deutschsprachigen Druckerzeugnisse zu haben. Jeder Zettel, auf dem irgendetwas Deutsches stand, wurde mir aus der Hand gerissen.

Die sprachliche Integration der Hunderttausenden Zuwanderer des Jahres 2015 und früherer Einwanderergenerationen wird nur mit einem viel größeren Aufgebot von Freiwilligen zu schaffen sein. Es wird nicht reichen, die Integrationsarbeit den Aktiven in katholischen Pfarren allein zu überlassen.

Mühe sollte belohnt werden

Genug solcher Freiwilliger wird man allerdings nur finden, wenn in der Bevölkerung das Bewusstsein entsteht, dass die, die schon da sind, zu uns gehören; vor allem aber, dass ihre Mühe keine Sisyphusarbeit ist und die weitere Zuwanderung nach oben begrenzt ist.

Geendet hat die Sache für mich vorläufig mit einer Bestätigung: Die Teilnehmer baten mich, auf unser Berichtsblatt an die Kursleitung eine Nachricht zu schreiben: Sie möchten den Kurs fortsetzen, mit mir als Instruktor. Das konnte ich nicht ablehnen. Also geht's bis Weihnachten weiter.

(Die Namen wurden geändert und manche biografischen Umstände anders zugeordnet.)

DER AUTOR

Hans Winkler war langjähriger
Leiter der Wiener Redaktion der
„Kleinen Zeitung“.

Debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.11.2016)

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