Die Familie als Luxus, der nur den Arbeitsprozess stört

Familienförderung. Warum Arbeiterkammer und Industriellenvereinigung einander so gut verstehen. Ein Vorarlberger stört die schöne Eintracht.

Wer die österreichischen Verhältnisse nicht kennt, dem mag die Allianz erstaunlich vorkommen: Industriellenvereinigung (IV) und Arbeiterkammer (AK) haben ein gemeinsames Konzept zur Umgestaltung der Familienleistungen vorgestellt. Die Industrie macht sich damit wieder einmal zum Erfüllungsgehilfen sozialistischer (oder grüner) Gesellschaftspolitik. Verwunderlich ist das aber auch wieder nicht, denn die IV setzt damit nur die Linie fort, die sie auch schon in der Bildungspolitik eingeschlagen hat, wo sie ebenfalls in wichtigen Fragen Positionen vertritt, die denen der SPÖ nahe sind.

Der Kern des Konzeptes von IV und AK ist die Abschaffung steuerlicher Absetzmöglichkeiten für Familien und ihr Ersatz durch eine einheitliche Geldleistung – und zwar unabhängig von der Zahl und vom Alter der Kinder. Statt der bisherigen Familienbeihilfe (einschließlich Schulstartgeld), Kinderabsetzbetrag, Mehrkindzuschlag und Alleinerzieherabsetzbetrag (einschließlich Kinderzuschläge) soll es für jedes Kind 210Euro pro Monat geben; Eltern von behinderten Kindern bekämen zusätzlich 140Euro und Alleinerziehende 50Euro monatlich.

Wer die Verlierer sein würden

Dazu würden zweckgebundene, nicht übertragbare Gutscheine in Höhe von 35Euro monatlich pro Kind (zwölfmal im Jahr) bis zur Vollendung des 15.Lebensjahres kommen, die gebündelt oder nach und nach eingelöst werden könnten – und zwar etwa für Kinderbetreuung, Nachmittagsbetreuung, Nachhilfe, Skikurse oder Musikausbildung.

Die Frage, wie man Gutscheine bei privater, natürlich auch unversteuerter Nachhilfe einlöst, wird vorsichtshalber nicht erörtert. Durch Umschichtungen wollen AK und IV den Bedarf an Kinderbetreuungsplätzen decken. Binnen vier Jahren sollen 30.000 neue Plätze für unter Dreijährige geschaffen sowie die Erweiterung der Öffnungszeiten von weiteren 70.000 Plätzen und eine Verbesserung der pädagogischen Qualität erreicht werden. Das Modell soll gleichzeitig Einsparungen von rund 100 Millionen Euro ermöglichen.

Dass es bei dem neuen System auch „Verlierer“ geben werde, gestehen der Präsident der Industriellenvereinigung, Veit Sorger, und sein Kollege von der Arbeiterkammer, Herbert Tumpel, ganz offen ein. Man darf also annehmen, dass es beabsichtigt ist.

Diese Verlierer sind Eltern mit mehr als zwei Kindern und solche mit älteren Kindern, die höhere Schulen besuchen. Empfindliche Verluste würden Familien mit vier und mehr Kindern erleiden und zwar durch den Wegfall der Mehrkinderstaffel bei der Familienbeihilfe und des Mehrkinderzuschlags. Dieser wird ab dem dritten Kind gewährt und beträgt 20Euro pro Monat und Kind. Solche Familien würden doppelt verlieren, denn bei mehreren betreuungspflichtigen Kindern kann meist nur ein Elternteil berufstätig sein. Sie verlieren den Alleinverdienerabsetzbetrag samt Kinderzuschlägen.

Der Plan von AK und IV widerspricht mehreren Erkenntnissen des Verfassungsgerichtshofs, nach denen die Kosten für Kinder zur Hälfte abzugelten sind. Diese Kosten sind aber je nach Alter und Familiensituation höchst unterschiedlich und können nicht mit Einheitssätzen angemessen abgegolten werden. Gleiche Sätze für jedes Kind in jedem Alter entsprechen einer alten Formel der SPÖ: „Jedes Kind ist gleich viel wert“, in der kaum verhüllt eine Ablehnung der Mehrkinderfamilie ausgedrücktist. Diese steht unter dem Verdacht, ein Luxus der Wohlhabenden zu sein, den man nicht auch noch fördern solle.

Die Gesellschaft übernimmt

Die Leitvorstellung ist wohl die berufstätige Frau, für die die Gesellschaft die Aufgabe der Kindererziehung weitgehend übernimmt. Deshalb treffen sich auch die ideologischen und ökonomischen Motive der AK so gut mit den Interessen der Industriellenvereinigung.

Sie betreffen junge Frauen, die nach möglichst kurzer Unterbrechung zum Kinderkriegen wieder im Arbeitsprozess auftauchen – und das natürlich auf Vollzeitstellen. Teilzeitarbeit ist bei der AK ebenso unbeliebt wie bei Arbeitgebern, obwohl sie nachweislich für viele Frauen attraktiv ist. Aber während ältere Arbeitskräfte in das teure Modell der Altersteilzeit gedrängt werden, sollen junge Frauen möglichst rasch wieder arbeiten.

Die Vergabe von Gutscheinen zur Benützung von Betreuungsplätzen passt ins Konzept. Es ist vor allem auf Wien zugeschnitten, wo Stadt und SPÖ sehr viele – und auch sehr gute – solcher Einrichtungen unterhalten. Vor allem am Land gibt es das flächendeckende Angebot überhaupt nicht. Dort würden die Gutscheine für Betreuung gar nicht eingelöst werden können und eine explosionsartige Vermehrung dieses Angebots ist auch nicht zu erwarten.

Die schöne Eintracht der Wiener Sozialpartner stört nur ein aufsässiger Vorarlberger, der dortige AK-Präsident Hubert Hämmerle. Er wirft – durchaus klassenbewusst – seinem Wiener Kollegen Tumpel vor, der Industrie auf den Leim gegangen zu sein: „Schon wieder sollen zuerst die Familien bluten, während Vermögen, Stiftungen und Gruppenbesteuerung unangetastet bleiben.“ Die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf dürfe „nicht auf dem Rücken der Großfamilien und Alleinverdiener“ erreicht werden.

Österreich ist nicht vorbildhaft

Österreich ist im Gegensatz zu dem, was auch jetzt wieder behauptet wird, nicht auf allen Feldern der Familienförderung vorbildhaft. Die Mängel würden durch die AK-IV-Pläne noch verschärft werden. Sie liegen nämlich genau bei den Steuererleichterungen und nicht bei den direkten Transferleistungen, die jetzt schon im internationalen Vergleich zu den höchsten gehören. In Frankreich etwa, das mit die höchste Geburtenrate in der OECD hat und immer schon Familienpolitik mittels Steuerpolitik betrieben hat, herrscht ab dem dritten Kind eine weitgehende Steuerbefreiung.

Familienorganisationen können vorrechnen, welche realen Verluste Familien dadurch erleiden, dass die Beihilfen nicht valorisiert werden. Während Pensionen laufend der Inflation angepasst werden, hat die allgemeine Familienbeihilfe in den vergangenen zwanzig Jahren einen Wertverlust von 37 Prozent erlitten. Der Ausgleichszulagenrichtsatz für die Mindestpensionen wurde im selben Zeitraum um 96 Prozent erhöht. Das vor zehn Jahren eingeführte Kinderbetreuungsgeld wurde überhaupt noch nie erhöht.

Anreiz für die „Null-Kind-Familie“

Carina Kerschbaumer nennt in der „Kleinen Zeitung“ das Konzept von AK und IV unverblümt „ein nicht mehr überbietbares Anreizsystem für das ökonomisch ohnehin längst vernünftige Lebensmodell: für die Null-Kind- oder maximal Ein-Kind-Familie, die dann der Wirtschaft mit Vollzeit zur Verfügung steht“. Und wenn es eine Frau noch „wagt, drei Kinder zu bekommen und deshalb über Jahre zu Hause bleibt“, werde das Einkommen des Partners besteuert, „als ob er ein Single wäre und nicht fünf Personen davon leben müssten“. Soweit das Urteil einer Frau, die weiß wovon sie redet, weil sie selbst berufstätig ist und daneben Kinder aufzieht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.01.2012)

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